Die Anarchisten und ihre Begünstiger.
411
als daß die sechs Monate Gefängnis, welche als Maximum auf Verweigerung des Zeugnisses angedroht seien, voll zur Geltung gebracht werden können. In einem andern Leitartikel eines Blattes dieser Richtung wird gesagt: Bei den derzeitigen Bestimmungen unsrer Preßgesetzgebung würde die preußische Novelle thatsächlich die Preßfreiheit vernichten. Der Redakteur werde als Thäter bestraft; das schließe aber die Thäterschaft andrer Personen nicht aus. Gelänge es nach Jahren, den Autor zu ermitteln, so würde man noch nachträglich gegen ihn das Verfahren eröffnen können. Es wäre garnicht einmal nötig, das Vorhandensein besondrer Umstände, welche die Thäterschaft des Redakteurs ausschließen, anzunehmen. Das Netz der Verantwortlichkeit, welches die Presse umstrickte, sei wahrlich dicht genug, und die vereinzelten Fälle, in welchen durch seine Maschen einmal eine strafbare Publikation ungeahndet hindurchschlüpfen möge, können nicht im entferntesten eine Maßregel rechtfertigen, welche der Preßfreiheit einen so schweren Schlag versetzen würde.
Diese Phrasen mögen geeignet sein, den dumpfen Haß des Anhäugerkrcises dieser Blätter gegen alle Regierungsmaßnahmen, auch gegen die vorliegend beantragte Gesetzesänderung, zu erregen; wem aber nicht die einfache Entfaltung des roten Tuches „Reaktion" genügt, um in blinder Wut gegen den vorgehaltenen Lappen anzustürmen, der muß sich doch gewiß sagen: der bestehende gesetzliche Zustand ist so unhaltbar, daß für seine Aufrechterhaltung nur Verbrecher oder deren Begünstiger eintreten können. Was wird von der Regierung verlangt? Nichts, aber auch garnichts andres, als daß ein Verbrecher nicht deshalb der Strafe entgehe, weil er zur VerÜbung seines Verbrechens die Presse benutzt und sechs Monate außer Landes zubringt. Nichts wird verlangt, als daß ein Mensch, welcher bei mündlicher Verübuug seines Verbrechens zehn Jahre lang der Verfolgung des Strafrichters unterliegt, nicht deshalb das Privilegium einer nur sechs Monate dauernden Verfolgung genieße, weil er sein Verbrechen durch den Druck verübt hat, weil er eiuen Weg gewühlt hat, auf welchem er sein Verbrechen viel sicherer begehen, auf welchem er dasselbe Millionen statt bloß Hunderten von Menschen zur Kenntnis bringen konnte.
Um eine Beschränkung der berechtigten Äußerungen der Presse handelt es sich überhaupt nicht, sondern um die Ermöglichung, verbrecherischem Mißbrauch derselben wirksam zu begegnen. Wollten sich doch die aufgehetzten Leser der fortschrittlichen Blätter immer vergegenwärtigen, daß Verbrecher verfolgt werden sollen uud nicht unschuldige Leute. Mit welchem Rechte treten denn die Fortschrittsmänner, die ja bei jeder Gelegenheit ihre Treue gegen Kaiser und Reich hervorheben, für Leute in die Schranken, welche die Ermordung des Kaisers, die Tötung der deutschen Bundesfürsten, die gewaltsame Änderung der deutschen Staatsvcrfassung predigen? Wo liegt denn das berechtigte Interesse, sich für solches Gesindel zu engagiren? Nicht die Preßfreiheit, sondern die Preßfrechheit soll getroffen werden, und wenn durch die beabsichtigte Änderung des