Beitrag 
Die Schöffengerichte.
Seite
369
Einzelbild herunterladen
 

369

zur Last fallen, weil er es an der nötigenBearbeitung" der Schöffen habe fehlen lassen. Wahrlich eine beneidenswerte Lage des Vorsitzenden! Wir würden diese Anschauung hier nicht wiedergeben, wenn sie nicht leider vielfach in den Kreisen derjenigen Juristen, welche nicht unmittelbar mit dem Schöffengerichte zu thun haben, ausgesprochen wurde. Mit derartigen Grundsätzen wird aber dem ganzen Institute das Todesurteil gesprochen, denn wenn das Urteil des Schöffen vom Vorsitzenden in dieser Weise beeinträchtigt wird, kann der Vor­sitzende besser als Eiuzelrichter fuugiren; das Urteil wird dann in materieller Beziehung nur vom Vorsitzenden, nicht von den Schöffen gefällt.

Viel eher wird derjenige Schöffenrichtcr seine Schuldigkeit thuu, welcher bei der Beratung mit den Schöffen den Fall in thatsächlicher und rechtlicher Beziehung durchspricht und denselben etwaige Irrtümer aufklärt; die Verant­wortung für die dann erfolgende Abstimmung hat nicht er zn tragen. Muß aber dem Schöffenrichter nicht die Frende an seinem Berufe empfindlich beein­trächtigt werden, wenn er Urteile verkünden und begründen musz, welche der klaren Lage der Sache oder ausdrücklichen Gesetzen völlig widersprechen? So kam bei Verhandlung einer Privatklagesache der Fall vor, daß die Schöffen die Bestimmung des Z 190 des Strafgesetzbuches, wonach der Beweis der Wahrheit ausgeschlossen sein soll, wenn der Beleidigte wegen dieser behaupteten Handlung rechtskräftig freigesprochen worden ist, nicht anerkannten, vielmehr darauf bestanden, daß darüber nochmals Beweis erhoben werde.

Daß für den Richter das Schöffengericht die unangenehmste und aufreibendste Thätigkeit ist, ist eine namentlich bei größern Amtsgerichten, wo einer der Richter ausschließlich mit Bearbeitung der Schöffeusachen beauftragt ist, vielfach hervor­getretene Erscheinung; niemand hat diese Beschäftigung gern längere Zeit.

Leider findet der Schöffenrichter unter seinen Beisitzern zu häufig Leute, denen jedes Verständnis sür die Sache mangelt. Der Diebstahl einer gering­fügigen Sache erscheint ihnen überhaupt nicht strafbar, in Privatklagesachen (Jnjurienprozessen) kann der Schöffe vom Lande sich nicht zu einer Verurteilung entschließen, wenn seine Standesgenossen sich geschimpft haben, da manso etwas auf dem Lande nicht so genau nimmt." Es kommt häufig genug vor, daß Schöffen, welche in ländlichen Verhältnissen aufgewachsen sind, dem Vor­sitzenden rundweg erklären, die Sache sei doch so verwickelt, sie wollten die Be­urteilung lieberdem Herrn Richter überlassen." Doch der Richter mnß die Form wahren, er muß beraten und abstimmen lassen; das Urteil aber, das er auf Grund der Beratung und Abstimmung publizirt, ist lediglich sein Urteil, er hat es diktirt, wie sich der Abgeordnete Windthorst bei der ersten Beratung im Plenum ausdrückte, wenngleich dasselbe formell vom Schöffenkolleginm gefällt ist- Sollte es uns Wundern, wenn die Mutter Jnstitia, welcher bereits die Augen verbunden sind, sich auch noch die Ohren verstopfen ließe, wenn sie ge­nötigt wäre, der Beratung und Verkündigung eines solchen Urteils beizuwohnen? Grenzbotcn IV. 1885. 47