Auf dem Stilfser Joch.
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Sonntags auf dem Gute besuchte, besprechen konnte. Mit dem Ende des Sommers sollte Harald seinen Wohnsitz selbst an die Stätte seines neuen Wirkens verlegen und dort bis zur Vollendung des Ganzen, wozu die Frist eines Jahres in Aussicht genommen war, verbleiben. Der Graf hatte das Honorar so reichlich bemessen, daß Harald auch noch nach Vollendung dieser Arbeit für lange Zeit in seiner Existenz gesichert war und der gewissen Hoffnung sein konnte, sich durch weitere Thätigkeit Beruf und Stellung zu erringen.
Diese Wendung seines Schicksales erfüllte den Künstler mit unendlicher Freude, seine lebendige Phantasie ließ ihn in neuen Zukunftsbildern schwelgen und ihn von der Teilnahme Vronis an seinem Ruhm auch eine endliche Erriuguug ihres Besitzes hoffen. Aber er war entschlossen, die Initiative nunmehr dem Mädchen zu überlassen, weil er nur dann mit ihr glücklich zu werden glaubte wenn sie freiwillig die ihr angebotene Hand annahm.
Harald ging voll Begeisterung an sein neues Werk, dessen Beginn schon von selbst den Verkehr mit dem Kellerschen Hause unterbrechen mußte; er benachrichtigte die Freunde von der glücklichen Wendung seines Schicksals und entschuldigte sich schon im voraus, wenn fortan seine Besuche eine größere Unterbrechung erfahren würden. Er erhielt auch von Vroni eine sehr herzliche Antwort, welche die aufrichtigste Teilnahme an dem freudigen Ereignis aussprach und auch die Bemerkung nicht unterdrücken konnte, daß das Festspiel auch dem zu gute gekommen sei, der die wenigste Freude daran gehabt habe.
Seit diesem Briefe geriet der Verkehr ins Stocken. Als Herr Keller mit seiner Tochter Anfang des Herbstes wieder in der Residenz eintrafen, hatte Harald dieselbe bereits verlassen und seinen Sitz in dem alten Jsensteinschlosse aufgeschlagen. Während des Wiuters kam er nur ab und zu auf ein paar Stunden nach Berlin, weil der Gesundheitszustand seiner Schwester Edith immer bedenklicher wnrde und alle ärztliche Kunst und Pflege nicht imstande war, dem zarten Kinde eine feste und dauernde Genesung zu verschaffen. Für Edith war die Entfernung des Bruders ein großer Schmerz, sie hatte schon genng, wenn sie ihn nur auf einige Minuten sehen konnte und ihn in dem anstoßenden Atelier anwesend wußte. Die Freude über die neue Thätigkeit des geliebten Bruders mußte sie mit dem Gram einer langen Trennung vertauschen, und wiewohl sie sorglich ihre Empfindungen zu verbergen verstand, so war es doch sichtbar, daß außer der tückischen Krankheit noch ein innerer Kummer an ihr zehrte. So oft deshalb Harald von seiner Arbeit abkommen konnte, eilte er zu Edith und blieb während seines ganzen Aufenthaltes an ihrem Lager, das sie sich in Haralds Atelier ans einer Chaiselmgue aufgeschlagen hatte. Mit der Zunahme der Krankheit wuchs die Eifersucht Ediths; sie wollte den Bruder, wenn er einmal nach Berlin kam, auch nicht einen Augenblick missen, so daß dieser es nicht übers Herz bringen konnte, Edith, zu verlassen und einmal einen Besuch bei Keller zu machen. Auch war die