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Auf dem Stilfser Joch :
(Fortsetzung)
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Auf dem ^»tilfser Joch.

von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)

äre Harald nicht so ganz von seinen eignen Gedanken erfaßt gewesen, er hatte es merken müssen, daß die Schülerin der Selekta Veronika Keller kurzweg Vroni genannt ihm gegenüber eine größere Zuneigung zur Schau trug, als auch sonst eine von dem Unterricht begeisterte, noch nicht siebzehnjährige Schü­lerin ihren Lehrern gegenüber zu thun pflegt. Veronika war ein schön ge­wachsenes Mädchen, dessen Formen sich eben zu runden begannen, mit dunkel­braunen Nugeu und sanftblonden Haaren. Da ihr nicht entgangen war, wie vorteilhaft ihre kleinen Perlenzähne von ihren rosigen Lippen umrahmt wurden, so hatte sie sich einen beständig lächelnden Zug um den Mund angewöhnt, auch wenn sie über ganz gleichgiltige oder ernsthafte Dinge sprach. Nur Harald gegenüber hatte sie ihre kleinen, unschuldigen Koketterien abgelegt; es war, als ob sie den Kummer des jungen Lehrers verstünde, auch wenn sie den Grund deshalb weder ahnte noch, wenn sie es gethan, verstand. In seiner Gegenwart war sie ernst und in sich gekehrt und gab sich die erdenklichste Mühe, ihn durch ihre Leistungen zu befriedigen, sodaß sie bei einem nur ganz mittelmäßigen Talente doch eine seiner besten Schülerinnen war. Trotzdem war sie was bei ihrer Jugend auch ganz natürlich war nicht so sehr ihrer Empfindung Herr, als daß sie dieselbe nicht durch diese oder jene Äußerung oder stumme Geberde verraten hätte. Es war deshalb ihren Genossinnen nicht entgangen, daß Vroni ihrem Lehrer ein sehr tiefes Interesse entgegenbrachte, und es war deshalb mit jugendlichem Übermut mancherlei Spott und Neckerei gegen das Mädchen geübt worden. Allein Vroni, die sich selten zu einer energischen That hinreißen ließ, war diesmal durchaus nicht gewillt, der Spottsucht ihrer kleinen Neiderinnen zum Spielball zu dienen, sie hielt sehr nachdenklich der einen vor, daß sie beim Nachhausegehen sehr häufig vou einem angeblichen Vetter, einem