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Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung
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Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes ;c. 93

(z. B. bezüglich des Vornamens, der Religion, des Alters) vollkommen gleich- giltig sind. Will man trotz alledem den Nacheid einführen, dann thue man es für das ganze deutsche Reich, nicht bloß für einzelne Teile; es ist dann die Gleichheit der Gesetzgebung höher anzuschlagen als die Befriedigung aller Wünsche.

Ungcmeiu zweckmäßig ist dagegen die Absicht des Entwurfs, die Vereidigung der Zeugen alsbald bei deren ersten Vernehmung im Vorverfahren zu verlangen und nicht auf das Hauptverfahren aufzuschieben. Es wird jetzt manches Ver­fahren eingestellt oder auch eingeleitet, welches dieses Schicksal nicht gehabt hatte, wenn die Zeugen sofort dnrch den Eid zur vollen wahrheitsgetreuen Aus­sage bewogen worden wären; beide Nachteile werden vermieden, weun sofort alle Mittel zur Wahrheitsermittelung angewandt werden. Möge diese Bestim­mung daher sobald als möglich geltendes Recht werden, sie würde dann auch in ihrer Konsequenz zur Beseitigung des so vollständig ungenügenden polizei­lichen Ermittelungsverfahrens führen. *)

Wie die Begründung unsers Entwurfes schon von Zeitverschwendung dnrch die angeblich nötige doppelte Stellung der Gencralfragen redet, so will der Ent­wurf noch mehr für Zeitersparuug sorgen, indem er dem Richter gestatten will, eine Mehrzahl von Zeugen gleichzeitig zu vereidigen. Hiervor ist aber ganz entschieden zu warnen. Der Eid wird nach § 63 der Strafprozeßordnung mittelst Nachsprechens" der Eidesformel geleistet, nach § 134 des Strafgesetz­buches wird aber nur der wegen falschen eidlichen Zeugnisses bestraft, der ein falsches Zeugnis mit einem Eide bekräftigt oder den vor seiner Vernehmung geleisteten Eid verletzt. Will nun der Nichter eine Mehrzahl von Zeugen gleich­zeitig vereidigen, so fehlt ihm jede Koutrole dafür, daß alle diese Zeugen die Formel überhaupt, und daß sie dieselbe richtig nachgesprochen haben; und doch kann ohne dies von einer Eidesleistung gar keine Rede sein. Mau vergegen­wärtige sich, wie oft ein einzelner Zeuge die Eidesformel falsch nachspricht und male sich dann aus (was auch von anerkannten Praktikern bestätigt wird), was bei einer Eidesleistung in otioro alles gesagt werden würde. Man bedenke aber auch, wie bei einer solchen gemeinsamen Absagung der Eidesformel jede Feier­lichkeit verloren geht, und wie dies letztere noch viel mehr eintritt, wenn ein Richter, wosür auch praktische Beispiele vorliegen, um die Gewähr für die rich­tige Nachsprechuug der vorgesagten Formel zu haben, die einzelnen Zeugen bei einer gemeinsamen Vereidigung die einzelnen Stücke der Formel einzeln nach einander sagen läßt: Ich schwöre, ich schwöre, ich schwöre, daß ich, daß ich, daß ich u. s. w. Man muß alles dies nur selbst mitgemacht haben, um die Bedenken, welche eine gemeinschastliche Vereidigung mehrerer Zeugen gegen sich hat, vollständig würdigen zu können.

*) Vergl. meine Ausführungen hierüber in den Grenzboten 1886, I, S. 32S ff.