Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes ic. gZ
Rechtsmittels der Berufung verlangt. Die verbündeten Regierungen glaubten, daß diese Frage bei der kurzen Giltigkeit des Gesetzes noch nicht genügend geklärt sei, und es sieht daher der Entwurf zunächst von der Wiedereinführung der Berufung ab. Es ist das zu beklagen, wenn man auch den Standpunkt der verbündeten Regierungen zur Zeit für den richtigen wird halten müssen. Für die Wiedereinführung der Berufung haben sich so überwiegende Stimmen geltend gemacht, daß es hier einer Erörterung dieser Frage kaum bedarf, daß man vielmehr die Notwendigkeit dieses Rechtsmittels als feststehend betrachten kann. Es kann ja stutzig machen, daß sie vielfach nur zu dem Zwecke verlaugt wird, dem Angeklagten eine noch größere Sicherheit als bisher gegen (ungerechtfertigte) Verurteilungen zn geben; aber wenn man auch nicht auf diesem Standpunkte steht, so wird man doch sowohl im Interesse des Angeklagten als des durch den Staatsanwalt vertretenen Gemeinwesens dringend wünschen müssen, daß eine höhere Instanz die erstinstanzlichen Urteile nicht bloß bezüglich der angeblich vorgekommenen Gesetzesverletzungen, sondern auch wegen der Beurteilung der Thatfrage prüfen könne und nicht einfach an die „Feft- stelluugen" der ersten Instanz gebunden sei. Wenn nun die Begründung sagt, daß die Berufung nicht mit dem Grundsatze der Mündlichkcit und Unmittclbarkeit des Verfahrens übereinstimme, so dürfte dies prozeßrechtlich nicht richtig sein, da man ja sonst auch nicht die Berufung gegen die schöffengerichtlicheu Urteile zulafseu dürfte. Nichtig ist diese Ansicht nur, wenn man sie auf die jetzige Organisation unsrer Gerichte anwendet; dieser gegenüber ist allerdings, wenn man Mündlichkeit uud Unmittelbarkeit des Verfahrens will, die Einführung der Berufung mit Rücksicht auf die bei weitem zu groß gewählten Gerichtssprengel undurchführbar. Es bleibt deshalb, wenn man die Berufung für notwendig hält, nichts übrig, als die Gerichtssprengel kleiner zu machen, als sie jetzt sind, nicht aber die für nötig erkannte Berufung wegen der großen Gerichtssprengel auszuschließen. Zweierlei war für die Herstellung der jetzigen großen Gerichtsbezirke maßgebend, einmal die Hoffnung, durch das Zusammenleben einer größern Zahl von Nichtern ein regsameres wissenschaftliches Leben zu schaffeu, uud sodann der Finanzpunkt. Was das wissenschaftliche Leben anlangt, dessen Rückwirkung auf die Rechtsprechung unleugbar ist, so läßt sich ein gelinder Zweifel aufstellen, ob die Beschäftigung mit der Wissenschaft mit der Zahl der Richter eines Gerichtes wachse. Mit der wachsenden Richterzahl nimmt die Möglichkeit des Verkehrs der Nichter untereinander ab; je größer die Zahl der Kammern eines Gerichts ist, desto weniger wird der einzelne Nichter, vielleicht eine Autorität in einer gewissen Branche, Bedeutung haben, da er ja nur in seiner Kammer mitwirken kann. Ein normal eingerichtetes Gericht dürfte nur eine Zivil- und eine Strafkammer haben, damit jedes Kanunermitglied von allen Sachen Kenntnis erhalte, und dürfte mit Arbeit nicht so überhäuft sein, daß nicht alle vorkommenden Sachen einer gründlichen Durcharbeitung, möglichenfalls einer Zirkulation bei