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Auf dem Stilfser Joch : erstes Kapitel.
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Auf dein Stilfser Joch,

sein Auge nicht erst zu den Bergen ringsum zu erheben braucht. Denn nur der entbehrt, welcher das Bessere kennt und es nicht erreicht. Und sind nicht diejenigen Völker die weiseren, iu deueu der Sohu mir in die Kaste des Vaters treten darf? Dem Höhern wird die Erniedrigung, dem Niedrigen die Entbehrung der Erhöhung erspart. Aber freilich, das moderne Staatswohl glanbt noch Aner­kennung beanspruchen zn dürfen, wenn das Glück des Individuums dem Heil des Ganzen schonungslos geopfert wird.

Ach, armer Harald! Von solcher Philosophie hattest du vor deiner italie­nischen Reise nicht geträumt. Das war ein fröhliches, harmloses Leben, leine Sorgen, keine Beschwernisse. Nuter der Leitung hervorragender Meister, im heitern Kreise der Freunde, immer angelegt zu idealem Streben, zu froher Lust und dabei immer emsig bei der Arbeit; galt es doch, den Preis zu erringen, der ihn uach dem klassische» Lande der alten und ewig jungen Knnst bringen sollte. Welche Erinnerung an den Tag, da in der Akademie sein Name als Sieger verkündet wurde! In seinem Freudenrausche war er nach beendeter Feier, noch ehe der hohe Senat und das versammelte Publikum sich zurückgczogcu hatten, Frau Guude in die Arme gesuukcu und hatte die treue Gattin seines väterlichen Freundes Panli herzlich abgeküßt. Wenig fehlte, und die ernste Versammlung hätte diesem kindliche» Ausbruche überschwäuglichcn Glückes Beifall geklatscht. Dann war die Reise zur Mutter erfolgt, vou welcher er sich vor dem Abgänge nach Italien verabschiedete. Endlich die fröhliche Wanderung von München über den Breuner nach Verona; das sollte ein Nömerzug sein, wie noch kein Deutscher ihn gemacht hatte! Aber schon in Mailand war der Ernst des Lebens an ihn herangetreten; dort hatte ihn der Brief von Francesea Hertel aus Nimiui erreicht welche die Hilfe des noch unbekannten Freundes anflehte, um den pslichtver- gcssnen Gatten den Armen der lockenden Sirene zn entreißen. Da war auch er des Mitleidens kundig gewordeu, und der tiefe Gram der edeln und schonen Frau hatte sein Herz schwerer gerührt, als er es sich gestehen durfte. In seinen Armen war der Freund uud dessen Gattin gestorben, und so war anch aus dem fröhlichen Harald gar bald ein ernster Mann geworden, den die Vergangenheit mit trüben Erinnerungen, die Gegenwart mit bittern Enttäuschungen und die Zukunft mit banger Furcht erfüllte.

Unterdes war es Abend geworden. Harald verließ das Fenster und eilte ins Freie Humus, um sich durch einen Spaziergang aus seiucn Träumereien emporznraffen. Es sollte eine neue Rubrik im Buche seines Lebens beginnen. Also Mut: Hie nova vitg, iuvixit. (Fortsetzung folgt.)

Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig, Druck von Carl Marqunrt in Leipzig.