Auf dem Stilfser Joch.
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Wickel» zu können. Man hatte es dem braven Manne ansehen können, welch innern Kampf er zu bestehen hatte, daß er Harald nicht bei sich behielt, mn wenigstens mit andern Meistern den Ruhm eines großen Schülers teilen zu können. Auch hatte der Direktor besonders noch den Mangel einer guten Gemäldesammlung in der Proviuz geltend gemacht und es fiir notwendig bezeichnet, daß der Knabe frühzeitig in eine Stadt gebracht würde, in der sich das Auge des jungen Künstlers täglich an den Meisterwerken der Alten üben könnte. Da die Trennung von Mutter und Sohn ohnehin entschieden war, so trat Frau Stolberg in allen Punkten ihrem Berater bei und that anch noch den zweiten Schritt, indem sie den Sohn nach Berlin brachte, wo er in dem Hause des Doktor Panli, eines Jugendfreundes der Mutter, eine neue Heimat und bei ihm und seiner Frau einen vortrefflichen Ersatz der Eltern fand.
Au diese Trennung von der Mutter eriuuertc sich jetzt Harald wieder, als au den ersten großen Schmerz, den er in seinem Leben erlitten hatte. So hatte ihn nicht der Tod des Vaters erschüttert, weil er für diesen nicht sowohl Liebe als Scheu und Ehrerbietung gefühlt hatte.
Aber was bedeutete dieser Schmerz gegenüber der letzten großen Trennung, als er im vergangnen Jahre bei seiner Rückkehr aus Italien und der Schweiz an das Sterbelager der Teuern gerufen wurde! Wie hatte sie sich doch um ihn in treuer Sorge während der Schul- und Lehrzeit bemüht! Erst nach ihrem Tode erfuhr er, welche Entbehrungen sie sich auferlegt, wie sie Tag und Nacht für ein Tapisscriegeschäft in der Residenz gearbeitet und dadurch frühzeitig ihre Gesundheit untergraben hatte — und das alles, um noch für eine Studienreise des Sohnes nach Paris zu sparen. Ja alles, was für seine geistige und seelische Bildung geschehen tonnte, war von der Mutter aus erfolgt, und diese Opferfreudigkeit der Frau, die, ihres krankhaften Zustandes sich bewußt, uoch da säete, wo sie gewiß war, daß sie nicht mehr ernten konnte, gab seiner Seele und seinem Schaffen einen neuen Aufschwung. Noch an dem Totenbette der Mutter mußte Harald der Sterbenden versprechen, die Pariser Studienreise zu uuter- nehmcu, um in dem Atelier von Carvlus Duraud die letzte Etappe seiner künstlerischen Ausbildung zu vollenden. In der Zwischenzeit sollten die jüngeren Geschwister noch in dem Städtchen nntcr der Obhut der Tante Alwine, einer alten entfernten Verwandten der Familie, bleiben. Harald hatte den Wunsch der Sterbende« erfüllt, aber jetzt war anch die Zeit gekommen, in welcher er das zweite Vermächtnis zu erfüllen und die Geschwister zu sich zu uehmen hatte, um ihnen Vater und Mutter zugleich zu sein.
Bei seiner Rückkehr in die Heimat hatte es sich gezeigt, daß das mütterliche Vermögen nahezu erschöpft und jedenfalls auf eine lange Zeit nach dein Tode der Mutter uicht berechnet war. Es war aber noch genügend, um in bescheidnem Maße in Berlin die erste notwendige Einrichtung herzustellen und die Übersiedlung der Geschwister zu bewirken.