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Kulturärzte.
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Aulturärzte.

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dich den Blick senken läßt, es ist ein edleres, kräftigeres Gefühl, Das. was dich da anblickt hinter der goldnen Brille, ist ein absolut Fremdes, es ist nicht der Blick des Menschen zum Menschen; vor diesem Blick bist du nicht Mensch, nurlebender Körper," Material, und darum ziehst du den Vorhang vor den Menschen in dir, damit die beschäftigten Augen hinter der goldnen Brille nur das Material sehen.

Aber du hättest deine Augen ruhig aufbehalten können. Der Mann mit der goldnen Brille sieht den Menschen in dir garnicht, und wenn er ihn je gesehen, so hat er es längst verlernt. Er hat so viel zu thun mit der Menschheit und ihrem Fortschritt, er hat so viel zu operiren, zu verbessern und zu erfinden, daß er sich um die einzelnen Menschlein mit ihrem gegenwärtigen Fühlen und Wollen, Wähnen und Streben nicht bekümmern kann.

Im Gegenteil, das stört ihn, das muß er ignoriren, um besser operiren zu können, und erst dann ist er wirklicher Knlturarzt, wenn er es überall und mit Virtuosität ignoriren kann. Begegnet es ihm trotzdem noch hin und wieder, daß es sich ihm unliebsam ausdrängt, so wird er wild und erklärt es für eine konventionelle Lüge der Kulturmenschheit" oder er fertigt es weise mit einem Paradoxon" ab.

Daß ich mich hier auf kürzlich an dieser Stelle besprochene populäre Schriften eines Arztes beziehe, ist kein Zufall. Es ist nur zu bekannt, wie enorm die Produktion auf diesem Gebiete ist. Sie läßt nach einem alten nationalökonomischen Gesetze auf Nachfrage und Absatz schließen. Wiewenig paradox" (welch ein Euphemismus!) alle diese Dinge sind, ist damals mit Recht hervorgehoben worden; wir meinen hier natürlich nur den großen Ausschnitt aus dieser populären Literatur, den wir unter dem Gesamttitelmedizinische Aufklärungsliteratur" begreifen möchten. Es bleibt sich gleich, ob sie durch Wort oder Schrift vor das Publikum tritt, und der populäre Vortrag, ob er nun im Gewerbeverein irgendeines Krähwinkels oder im Hörsaal eines berühmten Universitätsprofessors gehalten wird, mnß natürlich auch hierher gerechnet werden. In der That, wie sind sie so wenig paradox, alle diese Dinge: Bücher und Menschen, Stereotypauflagen der Kraft- und Stoffliteratur seit dem nicht genau bestimmbaren Jahre, in dem sichdie Naturwissenschaften zum erstenmale auf dem Gipfel ihrer Entwicklung" befanden! Immer dasselbe gelehrte Mäntelchen, aufgeputzt mit einigem funkelnagelnenen physiologischen Flitter, und darunter immer wieder dieselbe dürre Hohlgestalt des fahrenden Ritters der Natur- wissenschaft, der sein stumpfes Lcinzchen bricht für die alleinige und unumschränkte Majestät seiner Herrin. Wehe euch, ihr Verächter der chlvrduftenden Dueim, wehe allen, die sich ihr nicht bedingungslos beugen! O ihr Guten! Die Zeiten sind vorüber, wo philosophische Hitzköpfe zu nichtigem Kampfe sich euch in den Weg stellten, ihr habt nicht einmal klappernde Windmühlen mehr zu Gegnern, und dennoch tummelt ihr noch immer die Rosincmteu durch die öden Steppen eurer Mancha.