Die Handwerker der Poesie.
35
Dichter hinreißen würde: alles das sichere Anzeichen klügelnder Mache. Freilich, was thun, wenn seine Menschen dem Autor nicht im Herzen lebendig sind, wenn er sie gängeln und leiten muß, statt daß sie ihn führten und unaufhaltsam ihrem Wesen nachgingen! Klüger find die, welche auf gefährlich intime Dinge sich garnicht einlassen, Handlung und seelische Entwicklung hübsch in ausge- fcchruen Gleisen halten, in denen auch unsichere Kutscher ohne Fährlichkeit fahren können. Die hübschen Randzeichnungen, witzigen Einfälle und die Technik ihrer klugen Kleinkunst, hoffen sie wohl, würden ihre Sächelchen schon aufputzen, daß sie neu, eigen und lebendig aussehen. Ihnen allen fehlt energische Konzentration, Versenkung, Ruhe und innere Folgerichtigkeit. Auch sie sind keine Dichter, sondern Handwerker, von denen Goethe sagt:
Jung' und Alte, Groß und Klein Gräßliches Gelichter! Niemand will ein Schuster sein, Jedermann ein Dichter.
Es Wäre ungerecht, wollten wir unter den Kunsthandwerkern die Beherrscher des heutigen deutschen Theaters vergessen, die Lustspielfabrikanten und die „Meister" des Saloustückes. Eine leidlich geschickte, an feinen und plumpen Künsten und Kniffen reiche Technik müssen wir auch ihnen zugestehen, und daß sie getreu ihrem Wahlspruche:
Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte, Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
mit eifrigem Bemühen bedacht sind, ihr Publikum zu amüsiren. Die Lehren der lustigen Person und des Direktors ans dem Vorspiele des „Faust," die den Dichter dort empören, sind ihr Evangelium, obschou sie auch Dichter sein wollen. Wie fadenscheinig handwerksmäßig aber die gesamte Kunst dieser Praktiker mit den hoheu Tautiemen ist, beweisen wieder ihre — Menschen. Rollen, keine Charaktere, Sachen aus zehnter Hand, uralte Masken aus dem eisernen Bestände der Jahrhunderte; unglaubliche Karikaturen oder ausgeklügelte Geschöpfe, ohne einen Funken lebendiger Kraft. Der Zuschauer freilich im Theater sieht die Leute lebendig vor sich. Die Knust der Schauspieler hilft aus eignen Mitteln nach, ergänzt, putzt auf und legt Farbe, Zeichnung, Charakter und persönliches Leben hinein, die der Dichter nicht geben konnte. Um den wahren Wert dieser „Schöpfungen" abzuschätzen, muß man sie lesen, womöglich ohne sie zuvor gesehen zu haben, wobei alle Überraschung und Täuschung ausgeschlossen ist uud alles wahre poetische Leben dem empfänglichen Gemüte sich offenbaren muß. Es ist erstaunlich, wie trocken, leblos und gemacht hier selbst Werke vvu Leuten erscheinen, die, weitberühmt, ans literarischen Rang ernsthaft Anspruch machen, wie leer selbst diejenigen ihrer Stücke sind, die auf der Bühne flott, dramatisch und interessant erschienen und, wenigstens ein Jahrzehnt hindurch, andauernde Erfolge errangen- Sucht man die dramatischen Siebensachen