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Die Handwerker der Poesie.
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Die Handwerker der Poesie.

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die Charaktere reifen, welche Empfindungen ganze Massen, welche Kräfte die mächtige Wucht des Gemciulcbens beherrschen, welche Ideen die Geschichte regieren," das alles ist nach Wischers Worten der Inhalt seiner Schöpfungen, die empfunden, stimmungsvoll, gefühlssatt sein müssen, fofern sie echt sind.

Daß mit der innigen Empfindung für den Gefühlswert der Diuge der scharfe Blick für die Formen der Welt verbunden sei, ist die zweite Forderung. .Hellsichtig,durchbohrend,"packend" mit Blitzesklarheit soll das Auge des Dichters die Gestalten der Außenwelt erfassen, und die also erschauten Gestalten soll seine Kunst der Phantasie seiner Hörer lebendig einprägen. Aber wohl­gemerkt, nicht um ihrer selbst willen bildet er Gestalten, sondern um des Ge­fühlswertes, deu sie bergen, für das Gemüt desjenigen, in dem sie lebendig werden. Was ihr Inhalt ist, sollen alle die bunten Formen sagen. Zeichnung der Welt und Natur, der Menschen und Tiere, kurz alle äußere Schilderung mündet in Darstellung innern Lebens in deu Schöpfungen des Dichters, deralles Lebcu zum Seelenleben" (Bischer) wendet. Darum faßt der Dichter die Aufgabe aller Kunst im tiefsten Grunde: die Welt der Werte in die der Formen zu klcidcu. Ju seinen Werken wird dieWelt durchsichtig" uud das Leben liegt enthüllt" vor uns. Goethe schildert, wie Bischer sagt, das Wesen des Dichters, wenn er von Shakespeare rühmt, daß er sich zum Weltgeist gesellt, wie jener die Welt durchdringt und den Sinn ihres Geheimnisses verschwätzt, das heraus muß, und sollten es die Steine verkünden, daß wir die Wahrheit erfahren nud wissen nicht wie.

Alle Kunst uud Kraft des Dichters muß sich an seinen Menschen zeigen. Der Dichter allein faßt die menschliche Persönlichkeit, den Hauptgegenstand aller Kunst, im Kern ihres Wesens. An seinen Menschenbildern, zu deren Gestaltung alles zusammenströmt, was an Gefühl, Persönlichkeit, Scharfblick, Lebens­erfahrung, Weltkenntnis in ihm ist, muß sichs zeigen, ob in Wahrheit lebendige Schöpferkraft in ihm pulsirt. Besitzt er sie, so bildet er seine Geschöpfe zu Menschen mit lebendigem Odem, eignem Gefühl und handelndem Willen, ein Geschlecht, das ihm gleich sei. Und hier ist wieder Shakespeare, von Goethe ausgelegt, Muster und Meister:Er wetteiferte mit dem Prometheus, bildete ihm Zug für Zug seine Menschen nach, nur in kolossalischer Größe und dann belebte er sie mit dem Hauche seiues Geistes."Diese geheimnisvollsten und zusammengesetztesten Geschöpfe der Natur handeln vor uns in seinen Stücken, als wenn sie Uhren wären, deren Zifferblatt und Gehäufe mau vou Krystall gebildet hätte; sie zeigeu uach ihrer Bestimmung den Lanf der Stunden au, und man kann zugleich das Räder- und Federwerk erkennen, das sie treibt." In diesem Sinne ist der Dichter auch sür uns ein Seher und muß es sein. Die Waud, die jeder Meusch vor seinem Herzen hat, ist für den Mann mit dem Scherblick nicht vorhanden. Nur wer den hat, ist in Wahrheit ein Dichter. Nur wer verschlossene Gefühle, Gedanken, Entschlüsse andrer, ihr ganzes Wesen