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Die proportionale Berufsklassenwahl : ein Mittel zur Abwehr der sozialistischen Bewegung.
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Die proportionale Berufsklassenwahl,

das anzustrebende Ideal gepriesen wurden, mit dem Znsatze freilich, daß sich dasselbe vorläufig noch nicht erreichen lassen werde! Mit wie unsinnigen und geradezu lächerlichen Versprechungen anderseits die Neiseagitatoren der frei­sinnigen Parteien namentlich in den Landgemeinden Propaganda machen, ist genugsam bekannt. Von allen schwindclhaften Unternehmungen, welche unsre reklamesüchtige Zeit charakterisiren, ist der Wahlhumbug vielleicht die größte uud erfolgreichste. Denn er wendet sich an die nie aussterbende Rasse der Einfältigen. Uud auf diesem Gebiete wird noch mehr als auf dem des reli­giösen Aberglaubens das Unwahrscheinlichste am leichtesten geglaubt. Leute, welche mit dem Kircheuglauben längst gebrochen haben und über Neligivns- fragen spöttisch die Achseln zucken, erhitzen sich über die Evangelien eines poli­tischen Nciseapostels und sind bereit, zur Bekräftigung ihres Kredo gelegent­lich sogar das Messer zn ziehen.Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte." Die wüsten Vorgänge bei den Wahlkcimpfen führen immer mehr dahin, den friedliebenden Elementen jede Beteiligung zn verleiden.

Der Grund dieser Mißstände aber liegt einfach darin, daß man von den politisch Unreifen ein Votum über Fragen verlangt, die ganz außerhalb des Bereiches ihrer Urteilskraft liegen. Warum sie nicht über Dinge befragen, die sie verstehen, ja die sie besser verstehen als andre? Warum uicht die Entschei­dung auf das Gebiet ihrer persönlichen und Fachinteresscn verlegen nnd ihre Vertretung auf Männer beschränken, die aus diesem Jnteressenkreise entweder selbst hervorgegangen sind oder doch mit ihm in Fühlung stehen? Dieser Ge­danke ist so naheliegend, daß man sich erstaunt fragen muß, wie es eigeutlich gekommen ist, daß er uicht das Leitmotiv der parlamentarischen Aktion bildet. Aber die unklaren Vorstellungen von Volkswohl, Vvlksrecht oder gar Volks­souveränität haben diese Verwirruug hervorgebracht. So ist man zu der irrigen Vorstellung gelangt, es sei jeder einzelne, aus direkter Wahl hervorgegcmgcne Abgeordnete Vertreter des gesamten Volkes, während er doch thatsächlich nur eine Gruppe von Interessenten vertritt, als bilde der Reichstag gewissermaßen das Reservoir, in welchem sich der Extrakt der öffentlichen Meinung ansammle. Diese Anschauung hat auch in der Verfassung Eingang gefunden. Denn der Artikel 29 erklärt ausdrücklich, daßdie Mitglieder des Reichstages Vertreter des gesamten Volkes" sind.

Die Reichsverfassung hat damit eine Forderung gestellt, die sich wohl theo­retisch begründen, praktisch aber nicht durchführen läßt. Sie ist dem Gedcmkeu entsprungen, die Abgeordneten von einer Verantwortlichkeit gegen ihre Man­danten zu entbinden, sie den Einflüssen lokaler Gevatterschaften oder politischer Cliquen zu entziehen und ihr Augenmerk von den Interessen einzelner Gruppen ab uud auf die allgemeine Wohlfahrt des Landes zu leuken. Mag aber jedes Neichstagsmitglied diesem abstrakten Postulat entsprechend als Mandatar der