Die proportionale Bernfsklcissenwcchl.
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welche die verfassungsmäßigen Grundpfeiler des allgemeinen Stimmrechts unangetastet laßt. Diese Reform wird mehr auf eine Abänderung des Wahlmodus als auf eiue Beschränkung des Wahlrechts hinanslaufcn. Auch wird eine Form gefunden werden müssen, welche sich den gegenwärtigen Verhältnissen ohne Schwierigkeit anpassen läßt. In dieser Begrenzung, die freilich schon einen Verzicht iu sich schließt, mögen diejenigen unsrer Leser ein Moment der Beruhigung finden, welche von der Partcistcllung des Autors möglicherweise die Entwicklung eines reaktionären Programms befürchten. Wir werden das Gebiet vager Hoffnungen und aussichtsloser Projekte nicht betreten.
Es soll hier unerörtert bleiben, ob die Einführung des allgemeinen Stünm- rcchtes bei der Begründung des Norddeutschen Bundes eine politische Notwendigkeit war, ohne welche der Ausban des Bundes und später des Reiches nicht das feste Gesüge erhalten hätte, dessen er zur Abwehr innerer wie äußerer Feinde bedürfte. Wir wollcu nicht nntersnchen, ob es in jener Zeit des Ringens und Kämpfcns möglich gewesen wäre, aus dem innern Wesen der in Deutschland historisch sich entwickelnden Stände eine Verfassung zu bilden, welche den liberalen Anschauungen unsrer Epoche Rechnung getragen hätte, ohne deshalb mit allen Traditionen unsrer Geschichte zu brechen. Zu kritischen Rückblicken haben wir keine Zeit. Wir müssen uns mit der bedauerlichen Thatsache zurechtfinden, daß unser deutscher Koustitntionalismns unter schweren politischen Zuckuugeu geboren wurde, und daß sich unter dem großen Vorrat neuer Staatsformcn, mit denen uns jene Epoche überschwemmte, viel ausländische Jmportwaare von zweifelhaftem Wert befindet. Deutschland hat nicht das Glück gehabt, die Verteilung politischer Freiheiten uud Rechte allmählich und systematisch aus den Bedürfnissen des Volkes herausbilden zu können. Wir stecken nicht in einem Rock, der uns paßt, weil wir ihn selbst gemacht haben, wie die Engländer den ihrigen. Wir teilen vielmehr mit vielen andern Staaten Europas das Schicksal, daß uns der französische Parlamentarismus fix und fertig ins Haus geschickt wurde. Der schablouenmäßige Zuschnitt dieser to»A virilis ist aber das gerade Gegenteil einer Nationaltracht. Suchen wir also, um im Bilde zu bleiben, eiu Gewand, das wir nicht ablegen können uud wollen, anders zu schürzen und zu faltcu, daß es uns in unsern Bewegungen nicht hindere und unserm Körperbau besser anstehe. Dies Verlangen entspringt nicht etwa reaktionären Gelüsten oder einem nörgelnden Doktrinarismus, es ist einfach eine Frage der Zweckmäßigkeit. Keine der extremen Parteien soll besonders bedacht oder betroffen werden.
Gehen wir also auf die innere Struktur des deutschen Parlamentarismus ein uud untersuchen wir, ob ein nach dein heutigen Wahlsystem gebildeter Reichstag ausschließlich oder doch vorzugsweise befähigt sei, die ihm gestellten legislatorischen Aufgaben zn erledigen. Unsrer Ansicht nach ist dies nicht der Fall. DaS aus Frankreich importirte allgemeine Stimmrecht geht von der Voraus-