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Hartmanns Armer Heinrich.
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Hartmanns Armer Heinrich.

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Leser mit Groll gegen den selbstsüchtigen Kranken erfüllt, der das gute Kind einem grausamen Tode prciszngeben entschlossen ist, sv erfreut die entscheidende Wendung umsomehr, und die schließlich stattfindende Mesalliance sichert dem alten Gedichte die unzweifelhafte Gunst des nennzehnten Jahrhunderts. Zum Lobe des Gedichtes, das zwischen Legende und Novelle schwankt, darf auch in betracht kommen, daß es eines der ungemein seltnen Werke unsrer mittelalterlichen höfischen Literatur ist, das seinen Stoff nicht dem Auslande schuldig ist. Eine von der Sage ausgeschmückte wirkliche Begebenheit im Geschlechte von Hart­manns Dienstherren, derer von Aue, liegt der Dichtung zu gründe. Die neue Ausgabe ist aus Wilhelm Wackcrnagcls akademischen Vorlesungen hervor­gegangen; Toischer hat in taktvoller Weise die seit Wackernagcls Tode heraus- gekommcne Literatur über Hartmann und seine Werke ergänzend herangezogen, svdciß die Ausgabe nach jeder Richtung hin dem neuesten Stande der For­schung entspricht. Die umfangreichen Anmerkungen Wackernagels> in Fedor Vechs gleichfalls kommentirtcr Ausgabe zählt das Gedicht 49 Seiten, in der Ansgabe von Wackernagcl und Toischer 98 Seiten sind hauptsächlich sprach- crkiärcnd und für Fachgcnossen berechnet. Die Abhandlungen des Anhanges da­gegen werden auch für weitere Kreife interessante Belehrung bieten. DerAussatz und dessen Heilung innerhalb der Geschichte" bildet die allgemeine geschichtliche Grundlage dieser und vieler verwandten Dichtungen (Konrads von Würzburg Engelhard," die Legenden von Sankt Silvester, Jonrdcms von Vlaivins ^uri8 et, ^uulö8 n, a.). Wackernagel giebt, ans medizinische Vorarbeiten gestützt, eine Beschreibung der verschiedncn Arten des Aussatzes und der Behandlung, welche vvnseiten des Staates und der Gesellschaft den Aussätzigen zuteil wurde. Der Glaube, daß der Aussatz durch das Blut unschuldiger Kinder geheilt werden könne, war bei Laien wie Ärzten allgemein verbreitet. Im Mittclaltcr, sagt Wackernagel (S. 198),waren sehr häufig die Arzte Juden"; in verschiednen Erzählungen (von Papst Jnnveenz VIII.) und Sagen (Hirlanda, Konstantinns und Silvester)sind es jüdische Ärzte, die den Rat geben. Rechnet man hierzu noch, daß unter den Juden, wie es scheint, der Aussatz noch lange als häufiges Erbübel fortgedauert hat, so fällt ciu neues Licht ans die fort und fort und überall wiederkehrenden Erzählungen, wie von den Juden Christenkindcr auf­gefangen und ihnen das Blut sei abgezapft worden." Die zweite Abhandlung untersucht diesagenhafte Ausbildung und Auweuduug des geschichtliche,: Stoffes," eine drittedie Sage vom armen Heinrich und Hartmanns Dar­stellung." Nicht mit Unrecht hebt Wackernagel dabei hervor, daß Hartmann in der Darstellung der Krankheit sehr diskret verfahren sei; in der That, ver­gleicht man wie z. B. Konrad von Wnrzbnrg in seiner Allegorie vor vsrltiz lün den von Maden durchwühlten Rücken der aussätzigen Dame Welt mit Zola- schem Naturalismus geschildert hat, so weiß man dem streng den höfischen An­stand wahrenden Kunststile Hartmanns einmal aufrichtig Dank. Daß er diesen