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Wahlen und Parteien in Frankreich.
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schaft nicht wenig Energie nnd Talent bekundet und namentlich sich als einen kaltblütigen und zähen Politiker erwiesen, und man kann ihm das Zeugnis geben, daß er alles zustande gebracht hat, was mit dieser Kammer und diesem Senate zustande gebracht werden konnte, mehr vielleicht als das, was der Meister der Schule bei seiner hitzigen und ungeduldigen Art an seiner Stelle zn leisten vermocht hätte. Schwach freilich war er infolge der parlamentarischen Verhältnisse immer, und das Ministerium, welches an die Stelle des seinigen trat, ist nicht stärker. Es ist ohne politische Initiative, mehr eine Behörde der Liquidation. Brissou denkt mehr an den zukünftigen Präsidenten der Republik als an seine jetzige Stellung als Premier, er strebt nach Versöhnung der Gegen­sätze, aber es wird ihm schwerlich gelingen, die weitere Zersetzung der oppor­tunistischen Partei zu verhindern, geschweige denn die Spaltungen zu schließen, welche die Republikaner überhaupt trennen nnd in sich gegenseitig bekämpfende Gruppen absondern. Er würde damit mehr vermögen als die Natur.

In der Wahlbewegung, die seit einigen Wochen begonnen hat, setzten die Gambettisten auf den frühern Ministerpräsidenten, ihren nunmehrigen Führer, große Hoffnungen. Indes hat Ferry diese bisher nicht zn erfüllen vermocht, namentlich war sein Erscheinen in Lyon, mit dem er den Wahlfeldzug eröffnete, von geringein Erfolg. Eine aufgeregte Vvlksmasse empfing ihn bereits am Bahnhofe mit dem Nnfe:Nieder mit dem Tonkinesen Ferry!" und verfolgte ihn mit Schmähungen bis in das Hotel, wo dann seine Wahlrede einem sehr entschiednen Widersprüche begegnete, obwohl sie unleugbare Wahrheiten ans- sprach, wenu es dariu hieß, an eine soziale Gefahr in Frankreich sei vorderhand nicht zn glauben, weil hier dafür kein Boden sei, wohl aber könne man insofern in Sorge sein, als die unfruchtbare Agitation der radikalen Wühler, der Mon­archisten nnd der roten Unversöhnlichen imstande sei, die Bildung einer starken Regierungsmehrheit zu verhindern uud die Möglichkeit herbeizuführen, daß ein monarchischer Abenteurer sich der Negieruugsgewalt bemächtige. Ein großer Teil der französischen Presse, darunter auch Organe des maßvollern Republi­kanismus, äußerte sich tadelnd über diese Rede des Exmiuisters. Das ^cmrncü (>v» I)vv!^8 fand, daß sie ans einem Programm nnd einer Vorlesung über Wnhlmoral bestehe, die sich wenig glichen, da das Programm von einem Staats­manne, die Vorlesung aber von einem Opportunisten herrühre. Der r^Ätioir^l meinte, Ferry, der konservativ thue, ohne es zn sein, Opportunist ohne Be­geisterung sei und sich radikal geberde, ohne überzeugt zu seiu, habe damit allen seinen frühern Ansichten ins Gesicht geschlagen. Besonders giftig und heftig giug Clemeneeans 5uLtiov dem Redner zu Leibe, indem sie die Politik desselben eine Politik ohne Gedanken uud Grundsätze" nennt, dieje nach der Sachlage heute weiß, morgen schwarz färbt, die es versteht, den Rock rasch genug umzu­wenden, um durch nichts überrascht zu werden, und die als einzigem Ideale dem augenblicklichen Erfolge nachjagt und zn diesem Zwecke alles opfert, selbst