118
Gustav Nachtigal in Tunis.
schiffe u. s, w., aber bei der geringen Ordnung, die in den Finanzen herrschte, bei der Last, die infolge früherer Darlehen das Land bedrückte, konnte das kein gutes Ende nehmen. Und wie sah es im Kreise der Machthaber aus?
Ich habe hinlänglich Gelegenheit, es zu beobachten, denn der Minister ist der Mittelpunkt von allein, der Bey selbst eine komplette Null. Ich habe mit größter Mühe bis jetzt ein halbes Dutzend Menschen entdecken können, die wirklich arbeiten. Das ist der Minister su ene-t, seine Stütze und sein Halt Sidi-el-Azis, der nach ihm wichtigste Mann im Staate, und drei oder vier Schreibinaschiueu. Alle cmderu arbeite« hier und da einmal, wenn sie einen Auftrag erhalten, aber durchaus nicht gewohnheitsmäßig oder regelmäßig. Ich habe bisweilen Sorge, daß der Schwindel nicht lange mehr fortdauern wird. Die paar Dreier, welche ich inzwischen als Notpfennige erübrigen kann, werde ich dann in answärtigen Papieren anlegen. Doch Vorher muß ich noch etwas verdienen, wozu ich jetzt leider keine großen Aussichten entdecken kann.
Einstweilen galt es daher, die Protektion Sidi Nustans, der inzwischen Minister des Innern geworden war, und vor allem des Khasnadar wahrzunehmen, der ja für die Kollision seiner Ansprüche mit den Funktionen der eigentlichen Stellung Dr. Nachtigals verantwortlich war. Noch im Oktober meldet Nachtigal:
Ich habe bis jetzt noch absolut nichts in meinem Amte thnn können. Ich bleibe von morgens bis abends beim Minister, und alle Welt sagt, ich dürfe ihn nnd seine Nähe durchaus nicht verlassen. Genauer Wird es sich entscheiden, sobald der Hof nach dem Vardo zurückkehren wird. Alsdann werde ich den Minister direkt fragen. Meine Stellung bei diesem selbst ist noch etwas unbestimmt. Er würde mich wohl allmählich zu seinem vollständigen Hausärzte machen wollen, da er den Dr. Lumbrosu, den ersten Arzt des Reiches, nicht mehr leiden zu können scheint. Doch seine Damen haben mich noch nicht zugelassen. Es scheint, die Prinzessin ist eine stolze, eigenwillige Frau. Ich uenne die Frau des Ministers Prinzessin, da sie, soviel ich weiß, die Schwester Achmed Bchs ist. Svbald ich von ihr zugelassen sein werde, ist meiue Stellung gesichert, und um dahin zu gelange», muß ich die Eunuchen gilt behandeln. Solch ein Hausstaud ist sehr groß. Die Prinzessin hat fünfzehn Gesellschaftsdamen, von denen jede einzelne wieder zahllose Dienerschaft hat. Wenn ich wegen irgend eines kleineu Kiudes bisweilen ins Innere des Harems geführt werde und die Eunuchen mit dem Ansruf „Aufgepaßt!" vor mir herschreiten, höre ich es in den Korridoren hiuter jeder Thür vou weiblichen Gewändern ranschen. Hoffentlich wird der Minister mir endlich auch den Anblick seiner Gemahlin verschaffen und ich dann dieselben Vorteile wie Lum- brosv genießen. Mein Marineminister — dem, ftiner Botmäßigkeit gehöre ich au — ist nach der Aussage aller ein sehr braver und verhältnismäßig sehr thätiger Mann. Bei einem etwaigen Sturze des jetzigem Ministers würde er wahrscheinlich das neue Kabinet zu bilden haben.
(Schluß folgt.)