116
Gustav Nachtigal in Tunis.
andrer, von stupidein Gesellschaftsleben, von Krankheit und Laster, die ihn veredelt und kräftigt, ihn znm wahren Philosophen macht. Jetzt gerade hätte ich die schönste Gelegenheit, das schönste Land in der unmittelbaren Nähe von Tunis für einen Spottpreis zu pachten. Ach, ich muß zuvor durch deu Arzt Geld erwcrbm!
Er verhehlte sich dabei nicht, daß seine Verdienste ihn in jenem Lande der Hinterthüren noch keineswegs den gewünschten Lohn, die Anstellung verbürgten.
Es wird eine schwere Aufgabe für mich sein, da ich mit den geschicktesten Intrigante» zu kämpfen habe, die die Judeuschaft Livoruos erzeugte, die mir durch Kenntnis von Land und Leuten, durch Selbstvertrauen und Schamlosigkeit überlegen sind, und die allein aus Rücksicht auf meine geringen Talente mich aus ihrer Gemeinschaft fernhalten möchten. Und trotz seiner frühern Freundschnftsvcrsichernngen muß ich leider den Baron Lumbrvso, Protomedieo della Sua Altessa, für meiuen grundsätzlicheu Gegner halten.
Die Geduld Nachtigals wurde inzwischen durch die unglaubliche Verzögerung des Rückmarsches auf eine harte Probe gestellt.
Ich bin des Lebeus mehr als müde Mide Mai 1866 vou El Kef aus>, das Einerlei, die Langweile tötet mich. Dazu noch wenige Kranke, wie Anfang des Sommers stets, sodaß nichts meine Energie aufstachelt. Ich hätte uie gedacht, als ich Tuuis verließ, daß ich zweimal die Flicgeusaisvu außerhalb erlebeu würde. Uud die Fliege« siud schlimmer als Sturm, Hagel, Schuee, Skorpione und alle unsre sonstigen Plagen; sie hindern Essen, Trinken, Schlafen, jede Beschäftigung; sie peinigen die unglücklichen Opfer fortwährend. Die Hitze von dreißig bis fünfunddreißig Grad Celsius, deren wir uns während eines großen Teiles des Tages erfreuen, trägt ebenfalls das Ihrige dazu bei, alle mciue geistige« uud körperliche» Kräfte uud Fähigkeiten einzuschläfern und zu töten. Ich kann Stunden laug, wie eiu Araber, auf dem Rückeu liegeu, lasse meine Phantasie etwas herumschweifen und deuke uud thue nichts. Mein einziges Vergnügen bleibt das Reiten. Doch ist es auch nur halber Geuuß, weuu die Ziele der Promenaden stets dieselbe Physiognomie darbieten, dieselbe Leere, dieselbe Abwesenheit von Lebe« und Thätigkeit. Bisher trug die Natur noch eineu heiteru uud lebhafte» uud mannich- faltigen Charakter. Doch der Frühling ist hier kurz, uud schon hat die brennende Sonne die Blumcu des Feldes ertötet. Noch kurze Zeit, und sie hat das Getreide gereift, das Gras gedörrt uud drückt bald der ganzen Natur deu Stempel des Todes auf. Möchten wir doch vorher in den Hafen der tunesischen Kapitale einlaufen!
Nur die archäologischen Interessen Nachtigals fanden stellenweise einige Ausbeute. Er korrespondirte über dergleichen lebhaft mit seinem Freunde Nocea, einem französischen Philologen in Tunis.
Meine Antiquitäteuwut, schreibt er am 15. Juni, ist noch stets im Zunehmen begriffen; das Beste in dieser Gegend ist der Genuß, den mir die Nniueu von Haidra bereitet habeu. Zahlreiche Inskriptionen habe ich auch von diesem Orte zurückgebracht, dessen alter Name von den Gelehrten nicht festgestellt ist. Man findet dort eine große byzantinische Zitadelle, die durch ihre graudivse Ausdehnung Zeugnis für die Wichtigkeit des Platzes ablegt, eineu wuuderschöueu Triumphbogen, christliche Kirchen, Mausoleeu, Knserucu u. f. w.