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Line neue Schiller-Biographie.
vermochten wir dem literarischen Urteile, das Paris fällte nnd die <üorrs8p<m- Zg-nos llttviMS an den meisten deutschen Fürstenhöfen verbreitete, uns nicht zu entziehen. Die Übermacht des französischen Geistes ward durch die Schlacht von Roßbach nicht gebrochen. Und nicht die herrlichen Siege unsrer Waffen haben es bewirkt, daß wir heute einer Proklamirnng neuer französischer Geiftes- Herrschaft gar kein ernstes Wort der Abwehr mehr entgegenzusetzen brauchen. Die Prophezeiung Friedrichs des Großen über unsre Literatur hat sich im neunzehnten Jahrhundert erfüllt. Zum Beginn dieses Jahrhunderts, da Deutschland selbst als geographischer Begriff allmählich zu verschwinden drohte, warf Schiller das kühne Wort hin: „Die deutsche Sprache wird die Welt beherrschen." Die deutsche Literatur hat diese Erbschaft übernommen. Unter ihrem bestimmenden Einflüsse vollzog sich die Verjüngung der englischen Literatur, und die französischen Romantiker, deren Führer nun auf einmal der erste Geisteshervs des Jahrhunderts sein soll, haben in der Zeit der litcrarischen Kämpfe selber ihre Abhängigkeit vou der deutschen Literatur anerkannt. Goethe und Shakespeare waren die Meister, in deren Namen einst die Mitarbeiter des Modo die Nomantik in Frankreich auszubreiten strebten.
So dankbar wir auf den preußischen König zurückblicken müssen, der zuerst wieder von deutschem Wasfenruhm die Welt erzählen machte nnd den ersten Grund zur Neugestaltung des Reiches legte, ebenso dankbar haben wir der großen Gründer und Führer unsrer Literatur zu gedenken, deren Verdienst es ist, daß wir nicht mehr gleich Friedrich dem Zweiten selbst uns der literarischcn Herrschaft des Auslandes beugen müssen. Die großen Heroen der Wiedergeburt unsers geistigen Lebens sind eine Erscheinung, wie sich kein andres Volk in ähnlicher Weise ihrer rühmen kann. Achtzig Jahre sind seit Schillers, dreiuudfüufzig seit Goethes Tode verflossen; mit mehr oder minder Geschick haben sich in diesen Dezennien zahllose Kärrner um die hohen Bauten, welche die Könige errichtet, zu schaffen gemacht. Nicht eben vou der allgemeinen Gunst getragen, hat sich das Studium der deutschen Literaturgeschichte immer mehr entwickelt; vielfach ist man dabei auf Abwege geraten. Wäre es wahr, daß die Literaturgeschichte in letzter Linie eine Geschichte des Stils sein solle, so wäre sie freilich der Teilnahme der Nation nicht wert, ein wenig fruchtbares Spiel der gelehrten Zunftgeuvssen. Wie aber jede Literatur, die diese Bezeichnung überhaupt verdient, Nativnalliteratur ist, uud berufen das Gefühls- uud Gedanken- lebeu eines Volkes zum künstlerischen Ausdrucke in Worten zu bringen, so ist auch der Literaturgeschichte eine große nationale Aufgabe durch die Sache selber bereits zugewiesen. Und gewiß nicht der undankbarste Teil dieser Aufgabe ist es, Leben uud Wirken der großen Männer, auf deren Thaten die Entwicklung der Literatur selber beruht, zu durchforschen und in würdiger Weise zu erzählen. Man braucht nur die vorhandnen Biographien zu mustern, nm sich zu überzeugen, daß diese Arbeit unsern großen geistigen Führern gegenüber nicht gerade