492 Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.
angenommen, sind aber thatsächlich in einem Barbarcnzustcmde, und die zivili- sirten christlichen Staaten müssen sie nur als ihresgleichen anerkennen, wenn nicht gänzlich alle materiellen Vorteile des Handelsverkehrs geopfert werden sollen. Andre Staaten sind erst im Begriffe und iu dem ernsten, löblichen Bestreben, sich zu einer höhern Kulturstufe emporzuarbeiten; in der Zwischenzeit aber kleben ihnen noch alle Spuren des Barbarentums an, und der Fremde muß sich dieselbe Behandlung gefallen lassen wie der Einheimische, nur mit dem Unterschiede, daß der erstere darüber empört ist, während sie der letztere ruhig hinnimmt. Denken wir aber selbst an diejenigen Staaten, welche dem deutscheu Reiche politisch ebenbürtig sind, an Rußland, wo Gott groß und der Zar weit ist. Wieviel Bestechungsprozesse gegen die höchsten Beamten haben wir in der letzten Zeit vor der Öffentlichkeit sich abspielen sehen! Sind dies nur vereinzelte Erscheinungen oder sind es typische Merkmale? Hinsichtlich Italiens hat vor noch nicht langer Zeit der ehemalige Minister Minghetti in einem bekannten Buche mit freimütiger und anerkennenswerter Offenheit bis in die kleinsten Einzelheiten ausgeführt, wie der Parteieinfluß allmählich in die Verwaltungs- büreaus und in die Gerichtssäle eindringt, wie die Macht der advokatischen Abgeordneten oder parlamentarischen Advokaten cmch in dem einzelnen Privatprozesse die Urteile der Richter zu lenken versteht, wie selbst Interpellationen im Parlament dazu herhalten müssen, um durch Interpretationen vom Ministertische dem Gesetze diejenige Deutung zu geben, welche augenblicklich der Deputate und seine Klientel für eine bestimmte Rechtsangelegenheit für nötig hält. Bei Frankreich brauchen wir nur an die aufgeregten Zeiten nach den verschiednen Revolutionen oder Kriegen zu erinnern, um bemerklich zu machen, wie viele gerichtliche Aussprüche den Eindruck voreingenommener Entscheidungen hervorriefen, wie jedenfalls nicht selten bei dem Ausländer die Empfindung vorherrscht, daß sein Prozeß anders entschieden worden wäre, wenn er Inländer gewesen wäre. In England und in den Vereinigten Staaten ist die Beschreitung des Rechtsweges ein Luxus, den sich nur sehr reiche Leute gönnen können; es ist eine sehr bezeichnende Erscheinung, daß in diesen Ländern die Humanität sich genötigt sieht, Rechtsschutzvereine für Fremde zu bilden, damit diese nicht gänzlich rechtlos gestellt werden. In den amerikanischen Zeitungen werden nicht selten Fülle berichtet, daß gerichtliche Vermögensverwalter mitsamt den Nichtern das Weite gesucht und bei diesen Reisen auf Nimmerwiederkehr auch das ihnen anvertraute Gut mitgenommen haben.
Gegenüber solchen Zuständen des Auslandes ist es für uns Deutsche gewiß nicht schwer, auf die Ordnung unsers Justizweseus und auf unsern Richterstand mit Stolz hinzuweisen. Ja wir gehen vielleicht in der Behandlung der Fremden weiter, als die Klugheit es gebietet. Wir haben den Idealismus auf die Spitze getrieben, daß wir uns sogar durch unsre Gesetze verpflichten, den Ausländer wie deu Inländer selbst in den Fällen gleich zu behandeln, in