474
Reisebriefe ans Italien vom Jahre ^332.
Schritt im Geviert und sind entsprechend niedrig eingewölbt. Die Vorsteher hatten zwei Gemächer nebeneinander. Ich finde in solchen Klöstern stets die Spannkraft und Expansionsfähigkeit der menschlichen Natur zu bewundern, welche eine derartige Einengung der Existenz nicht nnr oft ohne Schaden erträgt, sondern sogar in erhabenen Schöpfungen völlig überwindet und verherrlicht. Nicht mir Fiesole, sondern auch der heilige Autoninus und Savonarola lebten und wirkten in diesem Kloster. Die Cella des lctztern ist ganz erhalten, wie sie war. Sein Schreibtisch, sein Stnhl stehen da, die Kleider sind vorhanden, die er trug, ehe er verbrannt wurde, ein Stück des Galgens wird aufbewahrt, an den man ihn hängte. Einige seiner Schriften, das von ihm gebrauchte Kruzifix. Ein höchst lebensvolles Bildnis Fra Bartolommeos stellt die ganze Persönlichkeit des merkwürdigen Mannes, seine Größe, seine furchtbare Energie, seine Glaubensglut, seine Beschränktheit vor Augen.
Im Refektorium ein Abendmahl von Ghirlandajo, sehr friedlich und ruhig wirkend. Keine Gruppcnbilduug, jeder sitzt einzeln; nnr Johannes mit Christus verbunden.
Dies erinnert mich an das Abendmahl Andrea del Sartvs im Kloster San Salvi vor der Stadt. Eine bedeutende Schöpfung; doch hat man dabei das Gefühl, daß der Künstler seinen großen Borgänger Lionardv umgehen wollte und doch bis zu einem gewissen Punkte in seinem Banne geblieben sei. Er griff seine Typen um einige Stufen niedriger als Lionardv (der Gebhardt damaliger Zeit), aber führte alles höchst lebensvoll aus. Judas neben Christus — eiu höchst überzeugender Kopf. Die Hände ungcmein sprechend, wie auf dem Bilde Liouardos; aber dariu stehen diese Künstler nicht allein. Bei dem Italiener spricht die Hand überhaupt weit mehr als bei nordischen Völkern; ja man kann als Regel annehmen, daß der Italiener, wo er mit einem Gestus auskouuneu kann, das Wort sicher spart. Die Gesten kurz, bedeutsam; oft auf einen, zwei Finger beschränkt.
Von nie zn vergessender Wirkung sind Michelangelos Medieäergräber mit den Gestalten der vier Tageszeiten: am schönsten, weil am ungezwungensten, Morgen und Abeud. Das ist große Kunst. Lebendiges, kraftvolles Fleisch, großartige Haltung, Würde und Ruhe. Hier ist die Mischung zwischen Natur und künstlerischer Zuthat, Stil, Komposition oder wie man es nennen mag — eine Mischung, auf die eben alles ankommt — aufs glücklichste getroffen. Unsre neuen Klassizisten trauen der Natur zn wenig nnd sich zuviel zu.
Eine Fahrt nach dem auf dem Berge gelegenen Fiesole — anderthalb Stunden von der Stadt — höchst lohnend. Vorüber an jener Villa, in welcher Boccaccio die Novellen des Decamcronc erzählen läßt, an San Domenico, wo Fra Angelico zuerst eintrat. Hoch oben besuchte ich ein Frciuziskauerkloster und lies; mich von dein Bruder Schneider über die Geschichte feines Ordens unterhalten. Den Blick auf Florenz sperrte ein feiner Nebel, aber dafür entschädigte die Aussicht ius Thal des Mognone.
Rom, 7. November (Albergo Molora).
Fahrt über Pisa, Grosseto, Follonica, Civita vecchia. Schöne Blicke aufs Meer, auf die Insel Elba. Dnrch die Maremmeu, die jetzt sorgfältig knltivirt werden, wie mau denn hier überall eiu tüchtiges Eingreifen der Regierung wahrnimmt.
Heute früh gleich der erste Gang zum St. Peter. Die Wirkung bleibt immer dieselbe: groß, feierlich, erhaben, nnd doch heiter und frei. Es kommt diesem Ban- Werke nichts gleich. Nie aber ist mir früher so von außen die schöne goldne Farbe des Domes aufgefallen; er sieht wie eben gebaut aus. Prachtvolle Klaugwirkungen im Jnuern, wenn in einem der Querschiffe die Messe gesuugeu wird.