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Aus Österreich.
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Aus Österreich.

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greifbare Wahrheit werden lassen. Aber dieses Spiel hat sich schon so oft wiederholt! Eigentlich zufrieden ist die polnische, die tschechische nnd die ultra­montaneDelegation" niemals, jede sindet sich stets hintergangen, übervorteilt oder mindestens zurückgesetzt, und zumal wenn das Wiedersehen mit den Wählern in Aussicht steht, werden trübselige Berechnungen angestellt, wie zwischen Fli­bustiern, die sich zu einem Beutezuge verbündet haben und bei der Teilung in MißHelligkeiten geraten sind. Diese Spiegelfechtereien sollten niemand mehr täuschen. Jede Partei weiß doch, daß sie von jedem Zuge etwas mitbringt, was dem Gesamtstaat oder den Deutschen abgenommen worden ist, jede fordert mehr, als sie zu bekommen hofft, um des letzteren desto sicherer zu sein, unter­stützt die Forderungen auch durch Drohungen, hütet sich aber wohl, die Drohungen auszuführrn. Denn wie sollte die Regierung beschaffen sein, welche den Separatisten noch günstiger wäre als die jetzige? Wenn an die Rechte des Parlaments die Aufforderung erginge, ein Ministerium zu bilden, so würde nicht uur unter den nationalen Gruppen, sondern inuerhalb derselben zwischen Radikalen nnd Gemäßigten, Ungläubigen uud Gläubigen offener Hader ent­brennen; und käme wirklich ein reiuföderalistisches Ministerium zustande, so konnte es sich doch nur kurze Zeit halten. Haben doch jetzt schon die konser­vativen Deutschen sich wiederholt von der Majorität losgesagt. Deshalb hütet sich diese wohl, die Negierung in einer wichtigen Frage im Stiche zu lassen.

Den Beweis dafür hat noch zuguterletzt die Entscheidung in der Nord- bahnfrnge geliefert. Die Bevölkerung hatte sich allerorten so bestimmt für die Verstaatlichung der Bahn bei billiger Abfindung der Konzessionäre ausgesprochen, daß die bisherigen Gegner dieser Lösung der Frage auf der Linken des Abge­ordnetenhauses und in deren Presse sich, wenigstens schweigend, fügten; im rechten Zentrum trat mau energisch für die Verstaatlichung ein, und in den unmittelbar interessirteu slavischen Landesteilen war die Stimmung dieselbe. Aber die Negierung war, wie man sagt, die Verpflichtung eingegangen, die Er­neuerung der Konzession durchzusetzen, nachdem die anfangs sehr übermütig aufgetretene Gesellschaft sich nach und nach zu diskutirbaren Vorschlägen herbei­gelassen hatte. Und nun vollzog sich folgendes Schanspiel. Auf der Rechten behandelte man die Frage als eine politische; die Opposition durfte nicht siegen, und diesem Gebot mußten die volkswirtschaftliche,! Interessen untergeordnet werden; die Linke nahm nicht denselben Staudpunkt ein, diejenigen Mitglieder, welche aus prinzipiellen vder persönlichen Gründen nicht für die Verstaatlichung stimmen mochten, absentirten sich, nnd das linke Zentrum, der kleine vom Grafen Cvrouini geführte Klub, reichte der Regierung nnd der Rechten die rettende Hand, indem er in letzter Stunde Anträge einbrachte, welche die von der Kritik am heftigsten angegriffenen Punkte der Vorlage beseitigten.

Daß die Oppositivu aus dieser Erfahrung eine Lehre ziehen werde, ist kaum zu erwarten. Sie ist zu schwach, um selbständig irgendetwas durchsetzen