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Analekten zur Geschichte der neueren deutschen Kunst : 3. Chodowiecki an Nicolai.
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Aualekteu zur Geschichte der neueren deutschen Kunst.

gefährlicher Freidenker und wird von ihnen fortwährend verfolgt, sodaß sein Leben aus einer Kette von Anfeindungen und Verlenmdungen besteht. Auch die Ungunst des Schicksals wird ihm in reichem Maße zuteil. Er wird seines Amtes entsetzt, von Haus und Hof vertrieben; Weib und Kind stirbt ihm, von allen Mitteln entblößt sieht er sich gezwungen, ein abenteuerliches Leben zu beginnen, und muß als Korrektor, Hauslehrer, Vikar, Schriftsteller, Wcghittcr und endlich als Gesellschafter eines reichen Herrn mühsam sein Dasein fristen. Ein mäßiger Lvtteriegewinn läßt ihn endlich nach langen Leiden ein hinreichendes Auskommen nnd die ersehnte Muße finden, sein großes Hauptwerk über die Offenbaruug zu vollenden.

Obwohl Nieolai im Laufe der Erzählung den ganzen damaligen Noman- apparat in Bewegung setzte, wiederholten Überfall dnrch Räuber, Schiffbruch, Gefangennähme durch holländische Seelenfänger, zahlreiche Übervortcilungeu des Arglosen und Unerfahrenen dnrch Schurken aus alleu Ständen, ist es ihm doch um die Handlung nicht im mindesten zu thun. Die Hauptsache sind ihm die Unterhaltungen, die Scbaldns mit den Anhängern fast aller protestantischen Glaubensrichtungen führt, welche iu ihrer provinziellen Verschiedenheit vor­geführt werden. Immer ist der Zweck, die Heuchelei uud Intoleranz der Geist­lichen iu eine möglichst grelle Beleuchtung zu stellen und ihre Bildung als höchst einseitig und beschränkt erscheine» zu lassen. Vielfach werden die Si­tuationen nur deshalb gewählt, um dasselbe Thema von eiuer ucuen Seite noch einmal behandeln zu köuneu.

Mit der Geschichte des Sebaldus hat dann Nieolai noch die seiner Tochter Marianne verbunden, welche als angebliche Französin in ndliche Dienste tritt und bald in ein Liebesverhältnis zn einem poetisch angehauchten Jüngling sich einläßt, dessen Gattin sie nach Vesiehnng mancher Abenteuer, darunter mehr sacher Entführungen, wird. In der Geschichte Mariannens tritt glücklicherweise die Handlung mehr in den Vordergrund, jn selbst an Ansätzen zu einer psychologischen Motivirung fehlt es hier nicht. Doch hat Nieolai seiner satirischen Stimmnng auch in diesen Teilen des Romans Raum gegeben; sie richtet sich gegen die Überhebung des Adels, verspottet dessen Gallomanie lind Ahnenstolz und zieht die Sentimentalität der Zeit, die sich gern in schauerlicher Liebes- tändelei erging, ins Lächerliche. Aber das alles geschieht mit Maß; die Satire entspringt hier meist den verkehrten Handlungen der Leute; selten arten die Gespräche, die sie führen, in so endlose moralische Abhandlungen aus, wie sie in der Geschichte des Vaters immer wiederkehren. Der Leser verweilt daher geru bei diesen Partien, welche in der That ein gewisses Talent für die Erzäh­lung verraten.

Nieolai war darauf bedacht, seinem Roman einen erhöhten Wert zu ver­leihen dadurch, daß er denselben mit einer Anzahl Illustrationen schmücken ließ. Er wußte zu diesem Zwecke den beliebteste» Illustrator der damaligen Zeit, den