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Neue Dichtungen.
— Also sagen sie — und der gewaltig
Über Preußen herrscht. Um unsrer Freiheit
Kargen Rest, den uns daS Reich gelassen,
Ist's gethan, wenn über unsre Grenzen
Seine Söldner je die Schritte lenken.
Darum, mein' ich, sei der Tag gekommen,
Was gefährdet war, uns zu erhalten,
Was verloren, wiederzugewinnen.
Ferne weilt der Kurfürst noch, der Kaiser
Liegt im Krieg mit seinem schlimmsten Feinde,
Mit dem Tnrkensnltcm, rings in Flammen
Steht die Welt, das bringe Heil den Wenden! Wer ist der Brandenburger, der mächtige nordische Fürst, der die Schweden verjagt hat und über Preußeu herrscht? Man kann doch nnr an den großen Kurfürsten denken. Aber hat dem der Kaiser die Wenden im Spreewald überliefert? Das dentet doch eher auf den Nürnberger Burggrafen, dem Sigismund die Mark verlieh. Denn nur zu dessen Zeit hat von der Lausitz ein Teil vorübergehend zur Mark gehört; sonst sind die Lausitzer erst 1815 mit Preußen vereinigt worden, nachdem sie 1635 von Böhmen abgetrennt und dem Kurfürsten von Sachsen verpfändet worden waren. Der Krieg des Kaisers mit dem Türken- snltan aber versetzt uns wieder ins sechzehnte Jahrhundert, etwa in die Zeit der Bauernkriege, auf die auch die Einleitung hindeutet. Vielleicht wird sich der Dichter mit der „poetischen Freiheit" entschuldigen und sichs verbitten, mittels des historischen Atlas kontrollirt zn werden; er wird sich darauf berufen, daß sein Gedicht, das er ein romantisches nennt, in romantischer Zeit, d. h. zu einer beliebigen Periode des Mittelalters, spiele. Mit dieser Annahme würde ja auch der Inhalt am besten zusammenstimmen, das noch ziemlich starke Heidentum nnter den Wenden, die außerordentlich niedrige Kulturstufe derselben; Vnrgen, Ritter, Reisige, alles würde dem romantischeu Zeitalter entsprechen. Aber auch damit stimmt nicht alles überein. Auf der Eberjagd des Grafen wird heftig ans Feuerrohren geschossen, was umso auffälliger ist, als bei der Verteidigung der Burg, wo doch die Sache viel gefährlicher ist, die Ritter sich mit Schwert und Lanze begnügen, während die Bauern mit Sense nnd Axt anrücken. Wollte man also auch die Forderung einer historisch fest bestimmten Zeit fallen lassen, die einer einheitlichen Vorstellung des Dichters von der Zeit, in die er sein Werk versetzt, muß doch unbedingt anfrecht erhalten werden. Jedenfalls bedarf der Dichter, wenn auch nicht um historisch unanfechtbares zu liefern, so doch zn dem Zwecke, um den Erzeuguisseu seiner Phantasie eine in sich wohlgeschlossene und wvhlbegründetc Unterlage geben zu können, gründlicherer historischer Studien, als sie Wildenradt augestellt hat.
Auch den einzelnen Gestalten haftet eine gewisse Unklarheit und Verschwommenheit an. Daß Jazko die ihm angebotene Königskrone dem Niklot zuwendet, weil er weiß, daß seine Tochter diesen liebt, und weil er hofft, durch