politische Briefe.
7. Aussichten des deutschen Parlamentarismus.
leich unsrer Überschrift lautet der Nnme einer soeben im Verlage von Duncker und Humblvt in Leipzig erschienenen Flugschrift. Der Grundgedanke der interessanten Schrift begegnet sich mit den Ausführungen, die mehrfach auch vvn uns an dieser Stelle über den Parlamentarismus gegeben wurden sind. Wir haben nns jedoch entweder mit der Natur des englischen Parlamentarismus beschäftigt nnd daraus die Unanwendbarkeit desselben auf deutsche Verhaltnisse erkannt, oder wir haben diese Unanwendbarkeit nnmittelbar ans den deutschen Verhältnissen demonstrirt. Der im Ansang des vergangenen Sommers erschienene Abschluß des großen Werkes von Gneist wird Gelegenheit geben, auf den englischen Parlamentarismus zurückzukommen.
Die Schrift, welche nns heute interessirt, beschäftigt sich mit den Wirkungen des Parlamentarismus auf diejenigen Kulturvölker, die ihn als den Inbegriff der Freiheit nachgeahmt haben nnd sich seiner erfreuen. Unter Parlamentarismus ist natürlich nicht Bestand und Wirksamkeit von Parlamenten überhaupt, sonder» der sogenannte reine Parlamentarismus verstanden, unter welchem die Zusammensetzung der Exekutive nach den Winken der parlamentarischen Majorität gemeint ist.
Nach einer kurzeu, aber schlagenden Charakteristik der parlamentarischen Segnungen in Spanien, Griechenland, Dünemark, in Schweden nnd dem getrennt zu behandelnden Norwegen, sowie in den Niederlanden, wendet sich nnsrc Schrift zu den Grvßstaaten Frankreich, Italien und Österreich-Ungarn. Das Bild, welches hier dnrch Zusammenstellung rein thatsächlicher Züge, aber nicht etwa durch eiue tendenziöse Auswahl, sondern dnrch scharfes und unparteiisches Ersassen des wesentlichen gewonnen wird, ist niederschmetternd für die Gläubigen des Parlamentarismus. Im allgemeinen haben ja alle Zeitgenossen diese Bilder vor Angen, aber es ist eine geläufige Erscheinung, wie viele Dinge im Lebe» mau sieht nud doch nicht sieht, weil man bei einer Wahrnehmung stehen bleibt, deren Elemente nicht organisch verknüpft sind. Erst wenn dieser Prozeß sich vollzog, hat man ein Objekt vor sich. Mit meisterlicher Hand bringt uns der Verfasser die vbengennnnten parlamentarisch regierten Staaten als Objekt z»r' Anschaunng. Wir müssen den Leser, welcher Nichtnng er auch sei, wenn er überhaupt Belehrung will, einladen, sich diese Ausführungen nicht entgehen ZU lassen, die nm so überzeugender sind, als sie das Maß objektiver Betrachtn»», weder in den Worten noch in den Sachen irgendwo überschreiten.
Zusammenzufassen, zu reprvdnzireu ist bei so kurzen, prägnanten Ausführungen nichts. Von Einzelheiten wollen wir nur die impouireude Liste der Miuisterveründernnge» seit dem 4. September 1870 hervorheben. Wie oft h»t man in Deutschland heuchlerisch über den Ministerverbrauch geklagt, der angeblich durch die Unverträglichkeit des Fürsten Bismarck herbeigeführt werde» soll. Nun wvhl, in Deutschland hatten wir in zwanzig Jahren !i Minist^' des Innern, in Frankreich in zwölf Jahren 27. In Deutschland hatten Wlr