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Bildungselementen mich dieser Zeit erfüllt, ist Carlyle niemals völlig über den Widerspruch hinausgekommen, der zwischen dem Sohn des Farmers von Eccle- fecchan und dein gefeiertsten und wirknngsreichstcn englischen Schriftsteller notwendigerweise bestehen mußte. An sich ist es ein Glück, aus den Niederungen des Lebens zu dessen Höhen zn steigen. Indeß die Bedingung dabei bleibt doch, daß kein feindlicher Gegensatz zwischen den Idealen der ersten Jugend und denen der Mannestage existire. Dieser unbedingte Einklang blieb Carlyle versagt. Der echte schottische Puritanismus, von dem Carlyles Vater durchdrungen war, kennt kein Paktiren mit andern Mächten, schließt jede Freude an der Herrlichkeit der Welt aus und ist überzeugt, daß der Herr nur auf rauhen und dornigten Wegen gefundeu werden könne. Er dnldet nur eine Wissenschaft: die Theologie, und vvu dieser wandte der jugendliche Carlyle sich (wahrscheinlich nach schweren innern Kämpfen) entschieden ab und gab seine Seele an das hin, was dem schottischen Prediger, zu welchem ihn seine Eltern bestimmt hatten, Eitelkeit der Eitelkeiten geblieben wäre. Wie ernst und streng, wie priesterlich nnd prophetisch nun auch der jugendliche Autor seinen neuen Beruf erfassen, wie gewaltig die Psalmen seiner Knabcntnge in all sein späteres Thun und Meinen hiueinklingen mochten — der Widerspruch war damit so wenig aus Carlyles Seele gebannt, wie er jemals aus der Seele eines größeren Vorgängers. Miltons. verschwunden ist. In seiner „Französischen Revolution" rief Carlyle einem Landsmann, dem abeuteuerlicheu Seehelden Paul Joues, uach, ob ein stilles Leben uutcr deu Seinen und ein paar Fuß schottischer Erde nicht all seinen bunten Erlebnissen nnd Weltfahrten vorzuziehen gewesen wären? Eine ähnliche Frage muß Carlyle oft sich selbst vorgelegt haben; in ihrer Folge ruht er von den Mühen seines Daseins nicht iu der britischen Nuhmeshalle der Westminster- "btei, sondern an der Seite seiner Väter auf dem Dorfkirchhof von Ecclefecchan. Zwischen Anfang und Ende aber lag ein ganzes reiches Leben, in dem die Widersprüche der angeerbten und der selbsterworbencu Bildung uud Weltanschauung hart mit einander rangen. Und so wenig Carlyle ohne den Puritaner, den „Schotten des alten Testaments," begriffen werden kann, so wenig kann er ans dem Puritaner allein verstanden werden, wollend uud uichtwollend ist der Schriftsteller mit dem weltweiten Blick von dem bloßen Bnßprediger, zn dem er einst bestimmt war, nnd in den er gelegentlich zurückfiel, geschieden.
Carlyles Entschluß, sich einen eignen, seinen innersten Bedürfnissen entsprechenden Weg durchs Leben zu bahnen, siel in sein zweiundzwanzigstcs Lebensjahr (er war 1795 geboren) und er empfand selbst nnter Entbehrungen ansanglich eine gewisse Genugthuung über denselben. Aber freilich rang er eben damals im Jahre 1818 zu hart mit dem Leben. „Obwohl feine Zeit, berichtet der deutsche Biograph, mit Unterrichten und kleineren Arbeiten für Dr. Brcmsters Encyklopädie nnd dem — freilich laxen — Studium der Jurisprudenz ziemlich ü> Anspruch genommen war, fand er doch nirgends Befriedigung; er war in