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Charlotte von Kalb und Jean Paul.
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(Lharlotte von Kalb und Jean Paul.

s war im Februar 1796, in dem erste» Winter, in dem sich Nord- und Mitteldeutschland unter dein Schirm des Basler Friedens nnd der preußischen Demarkationslinie in unsicherer Sicherheit wiegten. Das altgewohnte Lebe», das ohnehin durch die auf­regenden Kunden von den Schrecknisse» der französischen Revo­lution und die kriegerischen Aktionen am Rhein nur wenig uuterbrocheu worden war, kehrte völlig in die friedlichen Geleise zurück; über die Enge nnd die ge­legentliche Langeweile des Daseins in den kleinern dentschen Städten suchte man sich mit idealen geistigen Vorstellungen, mit eifriger Lektüre bedeutender und nnbcdeuteuder Bücher zu erhebeu. An tausend Orten hatte man keine Vor­stellung einer andern Existenz; an einigen wenigen besann man sich, daß vor einem Jahrzehnt nnd noch früher das Dasein bewegter, fröhlicher, genußreicher und schwungvoller gewesen sei, und murrte hörbar über die graue, eintönige Gegenwart. Zu den wenigen gehörte in erster Linie Weimar, dermale» die kleingroße Residenz des Herzogs Karl Ananst und im Verein mit der benach­barten Universität Jena das deutsche Athen. Hier konnte man sich, vom Hofe a» abwärts, nicht in die fühlbare Veründernng finden, welche gegenüber deu genial bewegten Tagen, den poetischen Lebensstimmnngen der siebziger uud acht­ziger Jahre, in dem täglichen Thun nud Treiben, im persönlichen Verkehr nnd im geistigen Genießen eingetreten war. Man fügte sich widerwillig in den ernsteren, gehaltuercu Ton, in die reizloseren Pflichten, in die strengeren Au schnunngen, die namentlich durch den Einfluß der Kautischen Philosophie in den Geistern herrschend wurden, man sah mit Verwunderung uud Groll die intime Freundschaft, welche sich zwischen Goethe nud dem uvch in Jena lebenden Schiller seit noch nicht zwei Jahren zu bilden begonnen hatte. Je entschiedener Goethes Abgeschlossenheit uud Zurückhaltung seit der Rückkehr aus Italien gewesen war, je weniger man sich in die Wandlung seilies ganzen Wesens wie seiner persön­lichen Verhältnisse zu schicken vermochte, uud je mehr man andrerseits doch fühlte, daß er der wichtigste uud größte Manu dieser kleinen Welt bleibe, nm- somehr wuchs die Verstimmung in den verschiedensten gesellschaftlichen Kreisen. Man empfand dnS Bedürfnis, den beiden Herren, die so unbeirrt und unbeugsam ihren eigucn Weg verfolgten und die WeimarischeGemütlichkeit" auf sv harte Probe» stellten, hie und da einen kleinen Verdruß zn bereiten oder wenigstens andre Götter anzubeten neben ihnen.

Von dieser Stimmung der weimarischeu Gesellschaft erfüllt war ein Brief, den unter dein 2!>. Februar 1790, also an einem Schalttage, Fran Charlotte

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