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Die Erziehung zum Staatsbürger.
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bürger über ihre Ziele begnügen, wie sie es jetzt vvn Fall zu Fall gethan; denn sie, die über den Parteien stehen soll, erscheint dadurch als neben diese gestellt, ans ihre Einwirknng sällt dann dasselbe Licht tendenziöser Beeinflnssnng des Urteils der Masse, in welchem wir die hierauf gerichteten Umtriebe der verschie- denen Fraktionen erblicken. Die Negierung darf ferner nicht dnrch solche je­weilig g.cl noe, erfolgende Einwirknng auf das politische Urteil des Staatsbür­gers dessen Selbständigkeit schmälern, sondern mnß vielmehr diese Selbständigkeit nach Möglichkeit erstreben, svdaß jedwede Parteibeeinflussung unmöglich wird. Sie muß zu diesem Zwecke von vornherein dafür Sorge tragen, daß jeder in politischen Fragen selbst denken, sein Urteil über die oder jene Frage selbst finden lernt, und zu diesem Ende muß sie ihm nicht wie die Parteien bereits fertige Gedanken liefern, sondern nur das Material, das elementarische Wissen be­schaffen und ihm die Mittel und Wege zu dessen Anwendung und Verarbeitung für die einzelnen Fragen andeuten. Dann ist der archimedische Punkt gewonnen, auf dem das Volk der Parteiagitativn mit ihren Vorurteilen, Entstellungen und Verdächtiguugeu gegenüber Fuß fassen kann. Das Übrige darf man getrvst dem gesunden Menschenverstand der Wähler überlassen, nnd nur in besonders kri­tischen Fällen wird dann noch Nachhilfe mit dem offiziösen Apparat erforder­lich sein.

Mit andern Worten: Was nns notthut, ist nicht der von Zeit zu Zeit wiederholte Versuch, Fühlung mit dem Volksverstande zu gewinueu, nicht je­weilige Beleuchtung einzelner Gesichtspunkte, sondern dauernde Fühlung und die Ermöglichung richtigen Sehens in allen politischeil Angelegenheiten, eines so­zusagen instinktmäßigen Herausfindens der Wahrheit und Gerechtigkeit. Eine solche Fühlung aber uud eine solche Bereicherung des Volksverstandes ist nur durch eine staatliche, ordnungsmäßige Einrichtung zu erzielen uud zu erfassen, durch Verständigung auf dem Wege sozialpolitischer Vildungsmittel und Unter­richtsanstalten. Wie die Regiernngen früher die Verbreitung allgemeinen Wissens nicht deu Gemeinden, die Förderung christlicher Überzeugung uicht der Kirche allein überließen, so scheint es jetzt geboten, auch zur Förderung politischen Sach­verständnisses offizielle Schritte zn thu»; selbst daran Ware zu denken, daß we­nigstens die einfachsten Regeln politischen Denkens nnd Urteilens, die nicht vom Wandel der Zeiten abhängen, allgemeinverständlich festgestellt, sich nützlich er­weisen würden. Die Selbständigkeit des Urteils würde dadurch nicht beeinträch­tigt; denn deu Betreffenden bliebe die Anwendung dieser Grundprinzipien ans die konkreten Fälle, auf die einzelnen Erscheinungen, Fragen und Gesetzvorschläge überlassen. Es wäre vielmehr eine Befreiung vvn dem Einflüsse der Partei- phraseu, die sich dem Wühler anfdriugen nnd den ungeschulten uud nngerüsteten leicht gefangen nehmen.

Zn diesen Betrachtungen bewegt uns eine soeben erschienene Schrift:Die Notwendigkeit einer sozialpolitischen Propädeutik" von Dr. F. S.