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Nur eine thunlichst vollständige Sammlung dieser Anklagen und der ihnen etwa gewidmeten amtlichen Entgegnungen, konnte die Grundlage abgeben für ein künftiges Urtheil über die Frage, wer in dem Streite Recht gehabt. Nun liegt die Sammlung so vollständig vor, bis zu diesem Tage, daß kaum ein selbständiges Urtheil, das in der Presse über diese Angelegenheit in mehr als einem Monat gefällt worden ist, darin fehlt. Aber die Sammlung ist wenig ehrenvoll für die Ankläger. Ich wage zu behaupten: seit der preußischen Conflictszeit wird kaum ein Fall zu finden sein, in welcher die deutsche Presse in ihrer großen Mehrheit unbesonnener, vorurtheil svoller und unpatriotischer geurtheilt hatte, als in diesem.
Dieser Tadel ist leider unschwer zu begründen. Die verschiedenen Ansichten über die völkerrechtliche Correctheit des Verfahrens bei Aufbringung des Vigilante durch Kapitän Werner durchkreuzten noch das friedliche Fahrwasser unserer Leitartikelschreiber, als plötzlich die Abberufung des Kapitäns telegraphisch gemeldet wurde. Die der Reichsregierung nahestehenden Organe meldeten die Thatsache mit dem Zusatz, daß eine Rechtfertigung des Kapitäns bis dahin nicht eingetroffen sei. Sie drückten damit ein Doppeltes aus, für jeden der zu lesen verstand. Einmal, daß die Vorgänge an der spanischen Küste gegen die Erwartung der Negierung, weil gegen die Jnstructionen des Kapitäns sich vollzogen hatten. Denn sonst konnte nicht von dem Verlangen einer „Rechtfertigung" die Rede sein. Zweitens, daß dem Kapitän volles Gehör zur Rechtfertigung seines Verhaltens geschenkt werden solle. Damit war also der Grund seiner Abberufung und zugleich die Rücksichtnahme auf seine hervorragende Stellung in der deutschen Marine in aller wünschens- werthen Klarheit bezeichnet. Man hätte zunächst erwarten sollen, daß die deutsche Presse sich nun diejenige Reserve auferlegt hätte, die in nicht geschlossenen Untersuchungen wohl als ein landesübliches und allgemein anerkanntes Erforderniß des Anstandes bezeichnet werden darf.
Aber ganz das Gegentheil geschah. Die ersten Pausen nach der Ab berufung Werner's wurden damit ausgefüllt, daß die Zustimmungsadressen der deutschen Küstenbewohner Spaniens an Kapitän Werner mitgetheilt wurden. Woher man die genaue Kenntniß dieser Adressen hatte, erfuhr Niemand. Was sollten sie auch beweisen? Konnte durch die größte Begeisterung der deutschen Bewohner Spaniens etwa die Frage entschieden werden, ob der Kapitän seine Jnstructionen verletzt habe oder nicht? Keiner der Ankläger hielt es, diesen Adressen gegenüber, ferner für nöthig, auch darauf Gewicht zu legen, daß Kapitän Werner sofort durch einen tüchtigen College» ersetzt, daß in dem Bestände der Schiffe, Offiziere und Mannschaften der deutschen Marine an der spanischen Küste, außer dem Wechsel im Kommando nicht eine einzige Veränderung eingetreten war.