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Nation, die Höfe, der Adel, die Honoratioren und auch sie nur theilweise, die sich der fremden Geistesherrschaft fügen: die breite Masse des Volkes bleibt davon unberührt und von ihr aus fließt doch immer ein reichlicher Quell leiblicher und geistiger Erneuerung in die fremdartig metamorphosirten Schichten der oben darüber gelagerten Minorität. Aber seit 1815 steht es ganz anders: die ideale Erhebung der Freiheitskriege schoß auf literarischem, künstlerischem und socialem Gebiete über ihr Ziel hinaus, indem sie sich vorsetzte, den alten wälschen Sauerteig aus Deutschland ganz auszufegen, statt ihn nur recht zu vertheilen und dadurch ein leidlich schmackhaftes und leidlich gesundes Ge- mengsel herzustellen. Es war ein wunderliches Unterfangen, das unserer Deutschthümler und Franzosenfresser von damals, aber den Hohn und Spott, die man bis heute in vollen Schalen darüber auszugießen Pflegt, hat es nur darum verdient, weil es von und für Deutsche gewagt wurde. Nirgends in der Welt war es weniger angebracht als bei uns und am allerwenigsten gerade in der Hauptrichtung, die es haben sollte in seinem Kampfe gegen das Franzosenthum. Unsere deutschen Don Quixote's haben von den Flügeln der gallischen Windmühle mit Recht so fürchterliche Ohrfeigen empfangen, daß der bei uns sonst so stark entwickelte Trieb irgend eine beliebige falsche Fährte bis zum äußersten Ende mit gesinnungstüchtiger Hartköpsigkeit auszutreten, in diesem Falle sehr bald und fast spurlos erlosch. Denn die schüchternen Stimmen, die sich während des letzten Krieges gegen den Frack der deutschen Männer und die TouM der deutschen Schönen hervorwagten, haben nur während der Blokade unserer Mode-Hauptstadt Paris einigen Eindruck gemacht, weil damals der Verkehr mit den an der Spitze der Civilisation mar- schirenden Schneidern und Putzmacherinnen auf einige Monate leider fast ganz abgeschnitten wurde. Jetzt spöttelt man nicht einmal mehr darüber, sondern schätzt sich glücklich, wenn es der Patriotismus der Franzosen ihnen gestattet, uns wieder in alter Weise auf eine annähernde Höhe menschlicher Kultur zu erheben und unsere deutschen Thaler als eine vorläufige Abschlagszahlung auf die von uns angeblich fortgeschleppten Pendulen und Silberservice anzunehmen.
Wie wir uns heute gewöhnt haben, wieder in Folge unserer auswärtigen Geistesschulung, die Zustände der Wirklichkeit oder die Macht der Thatsachen als ein blindes Fatum oder eine eherne Nothwendigkeit zu betrachten, sollte es uns hier nicht in den Sinn kommen, die Frage zu erörtern, ob es heilsamer für uns gewesen wäre, wenn wir uns seit 1813 nicht unter der Allmacht des französischen Geistes befunden hätten. Wir meinen nicht, daß wir auf unsern eigenen Füßen hätten stehen lernen sollen, das wäre eine Zu- muthung an unsern deutschen Volksgeist, die er im Hinblick auf seine Ver> gangenheir, mit Entrüstung zurückweisen würde, aber wir fragen im Stillen,