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gN, seiner Sache'sicher zu werden, aber freilich immer nur so lange, als der Glanz der Siegesherrlichkeit ungetrübt fortstrahlte, oder sich immer wieder von neuem entzündete. Bei dem geringsten Wolkenschatten schlug wieder jene re- signirte Stimmung durch, die am Tage der Kriegserklärung bis zu den ersten Siegesdepeschen den Fremden, soweit sie damals noch irgend eine Art von Sympathie für uns aufzubringen vermochten, so wundersam auffiel und von ihnen meist viel höher, als sie es verdiente, geschätzt wurde. Eine Niederlage, oder auch nur ein kleines Mißgeschick, hätte sofort die trübste Jammerseligkeit und Hoffnungslosigkeit erzeugt, denn es wäre eine seltsame Selbsttäuschung über die deutsche Art von heute oder von 1870, wenn man von ihr erwarten sollte, daß sie ein Lützen und Bautzen auch nur gefaßt ertragen, geschweige denn als kräftigere Impulse des ganzen idealen Pathos der Seele hätte verwerthen können.
Warum aber alle diese Reflexionen, die doch weit ab von dem einen Punkte zu liegen scheinen, aus welchen unser Auge und das unserer Leser gerichtet sein soll? Beschäftigen wir uns hier denn nicht mit einem Ausschnitt aus der Naturgeschichte des französischen Geistes, und von den Franzosen ist bisher kaum ein Wort gefallen. Aber wer uns folgen wollte und noch will, mag vielleicht unsere Zeichnung deutscher Stimmungen und Seelenzustände in einer gewaltigen internationalen Krisis als die lehrreiche Folie jener französischen Gcistesrevolutionen nicht bloß während des Krieges, sondern seit dem Sturze des ersten Napoleon bis heute, verwerthen. Denn auf dem engen Raume der citirten Schrift Kreyßig's ist wirklich diese große Aufgabe nicht bloß projicirt, sondern auch gelöst, soweit man von einer Lösung reden darf. Gewiß war es einem geistvollen und formgewandten Darsteller hier leichter als bei mancher ähnlichen Aufgabe gemacht, denn mögen auch nur wenige Berufene in Deutschland allen Schwingungen der französischen Geistesbewegung während der letzten 60 Jahre im Einzelnen nachzufolgen befähigt sein, so sind wir andern alle, gebildete und ungebildete, geistreiche und beschränkte, weil wir Deutsche sind, unwillkürlich von dem tonangebenden Einfluß jener französischen Gestaltungskraft beherrscht und dadurch zu ihrem Verständniß disponirt.
Es bedarf ja nur eines bescheidenen Theiles deutscher Unparteilichkeit und Wahrheitsliebe, um zuzugestehn, daß unser eignes Geistesleben seit 1815 bis heute von der Uebermacht französischen Geistes völlig beherrscht, beinahe erdrückt worden ist. Vielleicht zu keiner andern Zeit der bis vor die Anfänge der Geschichte zurückreichenden deutsch-französischen oder gallischen Wechselwirkungen ist die Überlegenheit des französischen Wesens so tief und fein in die innersten Gefäße und Adern unseres ganzen Volksthums eingedrungen, wie in dieser Periode, deren abschließende Resultate noch unabsehbar sind. Denn zur Zeit Ludwig's XIV. und XV. sind es doch nur die Gebildeten der