Mann könnte, ohne in das landesübliche Raub- und Aussaugesystem der Hotelwirthe zu verfallen, einen ganz erklecklichen Gewinn nehmen und dennoch sicher sein, daß ihm der größte Theil des hier verkehrenden Publikums ganz von selbst zufallen würde.
Ein Geschichtchen, wie es sich letzte Woche hier zugetragen, kann wohl in keinem zweiten deutschen „Curorte" vorkommen. Der Wirth im „Löwen" und der Conditor am Markte, diejenigen beiden Herren, bei denen der Hauptverkehr ab- und zuströmt, vernachlässigen ihr Exterieur in ziemlich rücksichtsloser Weise. Nun hatte sich wohl irgend ein Tourist den Scherz gemacht, draußen unter der Colonnade am schwarzen Brett einen Anschlag zu befestigen des Inhaltes, der Löwenwirth und der Lebruchner hätten ihre Halstücher und Halskragen verloren, und der ehrliche Finder werde gebeten u. s. w u. s. w. Ganz Berneck gerieth in gelinde Aufregung. Der Conditor erschien andern Tags mit einer großen weißen Halsbinde, machte beim Löwenwirth feierlich damit Visite, jeder behauptete, daß er die Sache „von der spaßhaften Seite" ansehe und daß bloß der andere sich darüber ärgere, was sehr thöricht sei, der Conditor trank sich vor Desperation einen „Niesenbrand", mißhandelte hinterher wie gewöhnlich sein besseres Ich und war dann längere Zeit nicht zu sehen. Und fast alles das spielte sich unter den Augen der Curgäste ab.
Zum großen Theil trägt an der ganzen faulen Wirthschaft, wie so oft, das Publikum selbst die Schuld. Die hiesigen Curgäste sind meistens mittlere und kleinere Beamte, also eine namentlich in Mittel- und Süddeutschland schüchterne, leisetreterische Menschenklasse, die zwar die Köpfe zusammensteckt und im Stillen klatscht, schimpft und räsonnirr, aber sich doch thatsächlich unendlich viel gefallen läßt; Nürnberg, Fürth, Bayreuth, Hof, Chemnitz, Zwickau und Leipzig' liefern das Hauptcontingent. Namentlich der Volksschullehrer, insonderheit der sächsische, scheint stark vertreten zu sein. Vorm Jahre in der Pfingstwoche fuhr ich von Hamburg zurück und hatte das Vergnügen in einem Wagen zu sitzen, der ganz mit sächsischen Schulmeistern aus kleineren Städten und vom Lande angefüllt war, die von der Hamburger Lehrerversammlung zurückkehrten. Ein kleiner, dicker, runder Kerl mir einem Vollmondsgesichte, der den Rock ausgezogen und eine Zipfelmütze aufgesetzt hatte und täuschend aussah wie ein Schenkwirth, brüllte nach Herzenslust, schlug den Takt dazu und oirigirte die ganze Sippe. Einzelne Gruppen spielten Skat, eine Thätigkeit, die sich auf den sächsischen Seminaren einer außerordentlichen Pflege erfreuen muß, und zwar mit Recht. Denn wie andre Zeitungen neulich dem „Sächsischen Wochenblatte" nachdruckten, ist ja vor Kurzem von einer sächsischen Landgemeinde ein Schulmeister deshalb nicht angestellt worden, weil er des Skatspiels nicht gehörig mächtig war. Von Hamburg bis Wittenberge hatte ich also genügende Gelegenheit die Species „Sächsischer Schulmeister" kennen zu lernen. Als ich nun dies Jahr nach Berneck kam, war das erste, was mir im Gasthofe in die Augen fiel, eine Skatgesellschaft von vier Mann. Kaum hatte ich ein paar Worte ihrer Unterhaltung gehört, so schoß mir eine Parallele durch den Kopf. In demselben Augenblicke sagt einer mit herzlichem Lachen zu dem eben hereintretenden Wirthe: „Die Schulmeester sinn doch immer bei der Schkaterei, s' is scheißlich!" Siehe da, meine Parallele war schlagend richtig.
Verantwortlicher Redakteur: Dr, Hans Blum. Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel K Lcgler in Leipzig.