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Aus Baiern : ein Rückblick auf das neue Ministerium und die Kammer.
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Greil betrifft, so braucht man wohl nur den Namen desselben zu nennen, um die Unerhörtheit dieser Wahl zu charakterisiren. Er war es ja, der als Budgetreferent einen Geschäftsbankerott der Kammer herbeiführte wie er bis­her noch ohne Gleichen ist, da man nach fünf Monaten noch kaum ein Drit­tel des Staatshaushalts erledigt hatte. Drastischer als durch diese Wahlen hätte die patriotische Partei der Kammer kaum ausdrücken können, daß die Ereignisse eines großen Jahres spurlos an ihr vorübergegangen find, und wenn man noch vor Kurzem dort das Wort vernahm, daß die Gesetz­gebung hinter 1848 zurückgehen müsse, so zeigte nun die That, daß man hinter 1870 zurückgeblieben war.

Was die eigentliche Thätigkeit der Kammern betras, so zeichnete sich die­selbe mehr durch negative, als positive Resultate aus und war vortrefflich geeignet, um die Nothwendigkeit einer neuen, minder schleppenden Geschäfts­ordnung zu illustriren.

Diese und die Interpellation des Abgeordneten Herz waren entschieden die bedeutendsten Vorlagen, welche während der wenigen öffentlichen Sitzungen zur Sprache kamen.

Was den Gesetzentwurf über den Geschäftsgang des Landtags anlangt, so war damit vor allem bezweckt, den schwerfälligen Apparat der 6 Ausschüsse aufzuheben, und die unmittelbare Verhandlung vor dem Plenum zu erweitern. Da die parlamentarischen Kräfte der Ultramontanen denen der Fortschritts­partei in keiner Weise gewachsen sind, während die vertrauliche Berathung der Ausschüsse dem klerikalen Einfluß alle Chancen öffnet, so war man auf den heftigsten Widerspruch der patriotischen Partei gefaßt. Allein auf der anderen Seite hatten doch die letzten Wochen über die Untauglichkeit des bis­herigen Verfahrens ein so vernichtendes Zeugniß gefällt, daß selbst die vir­tuosesten Reactionäre nicht zu widersprechen wagten, und so ward der Ent­wurf der Regierung denn unverändert angenommen. Wie arg der geschäftliche Marasmus in letzter Zeit geworden ist, mag man daraus entnehmen, daß der Präsident am Schlüsse der Session geradezu für nöthig fand, das Nichts­thun der Kammer mit objectiven Hindernissen zu entschuldigen.

Die Herz'sche Interpellation betras, wie die Leser wissen, die Kirchen­frage und forderte das Gesammtministerium heraus, seinen Standpunkt zur altkatholischen Bewegung darzulegen. Die Aufregung in München war eine ungeheure, ob und wie diese Antwort ertheilt werden würde und die Ver­zögerung derselben schärfte die Spannung.

Um so glänzender und entschiedener erwies sich das Ergebniß. Denn die Negierung hat sämmtliche Fragen der Fortschrittspartei bejaht und dem com creten Fall eine principielle Tragweite gegeben, die heute noch unberechen­bar ist.