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Aus Baiern : ein Rückblick auf das neue Ministerium und die Kammer.
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Sehr interessant war das Verhalten, womit die patriotische Partei die Session inaugurirte. Sie gab sich der Hoffnung hin, daß angesichts der religiösen Wirren volle Eintracht unter ihren Mitgliedern herrschen werde, und daß die Centrumsfraction, die in der deutschen Frage gesondert votirt hatte, wenigstens in der römischen Frage mit ihr zusammengehen werde. Die Parole, welche die Patrioten so oft an ihre Bauern erlassen hatten, ward nun sogar unter den Deputirten der Partei colportirt, die Religion (hieß es) ist in Gefahr. Trotzdem aber sonderten sich etwa 15 Mitglieder der Rechten zu eigenen Clubversammlungen ab, und nahmen imDeutschen Hause" (sit venia, verdo) ein eigenes Local.

Im Club der Schwarzen, der im Bamberger Hof installirt war, begann unterdessen das alte wüste Treiben. Ein Terrorismus ohne Grenzen erdrückte jede eigene Ueberzeugung; die Herrschaft führten nicht die gemäßigten, sondern die extremsten Elemente der Partei. Man wußte anfangs nicht, worauf die ungeheure Rührigkeit der Ultramontanen gerichtet sei, die schon begann ehe noch von einer Sitzung die Rede war; nun freilich ist bekannt geworden, daß Herr Jörg sich die äußerste Mühe gab, um ein Mißtrauens­votum gegen das neue Ministerium zu erwirken. Dieser Versuch fand indes­sen nicht die nöthige Majorität.

Um so radicaler gingen die Ultramontanen bei der Wahl des Direeto- riums zu Wege, das sie gegen allen parlamentarischen Gebrauch ausschließ­lich mit ihren Parteigängern besetzten. Auch hier hatte Jörg seine Hand im Spiele, denn da er selbst die Rolle des ersten Secretärs übernahm, so war ihm daran gelegen, eine Persönlichkeit auf den Präsidentenstuhl zu heben, welcher er selbst an Geschäftskenntniß wie an Energie überlegen ist. Eine solche fand sich denn auch in der Person des Baron Ow, dessen stille Vorzüge weit größer sind, als seine parlamentarischen Eigenschaften. Nach gleichem Maßstab ward auch die Stelle des zweiten Präsidenten und des zweiten Secretärs besetzt.

Noch plumper, als dieses Vorgehen, war indessen die Ernennung der Ausschüsse, wo es sich doch selbstverständlich um die Besetzung mit Fachmän­nern in erster Reihe handelt. Allein auch hier entschied fast nur die Partei­stellung. Ja es schien nicht zu genügen, daß unbekannte Namen an dieser Stelle prangten, sondern man wählte sogar solche, die sich ohne Weiteres discreditirt hatten. Das frappanteste Beispiel dieser Art ist die Wahl der Herren Kolb und Grell in den Ausschuß für Finanzen. Bekanntlich plädirte der erstere gerade in dem Augenblick für eine Reduction der Armee, als der deutsche Krieg die Debatten unterbrach, und nicht nur diesen, sondern vielen änderen unentbehrlichen Instituten unseres Staatslebens steht derselbe als Socialdemokrat schroff gegenüber. Was aber den Herrn Franz Xaver