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Wer hatte dem Dichter gelehrt, fremdem Ton zu lauschen, fremden Ton zu treffen? — Dies dankt der geniale Jüngling seinem Freunde Herder. Und doch! ganz der alte Nürnberger Ton des sechszehnten Jahrhunderts ist es nicht mehr; hinter den Knittelversen und alterthümlichen Worten liegt ein Geist verborgen, den kein Hans Sachs und kein Herder geben konnte! Der Dichter des 18. Jahrhunderts, mit seiner tieferen, reicheren und edler gebildeten Seele hebt, sobald er diese verklungenen Formen wieder zum Leben weckt, sie weit über ihre ursprüngliche Schlichtheit und Hölzernheit hinaus. ^6 ist ähnlich, was wir hier hören, ähnlich naiv, volksthümlich und wahr, und doch geistiger, inniger, von höherer Geburt. Könnte man's bei Hans Sachs wohl lesen, was da steht von dem holden Mägdlein am Bach, wie sie sitzt
Mit abgesenktem Haupt und Aug' — Hat Nosen in ihren Schooß gepflückt — Und bindet ein Kränzlein sehr geschickt Mit hellen Knospen und Blättern drein — Für wen mag wohl das Kränzlein sein? So sitzt sie auf sich selbst geneigt In Hoffnungsfülle ihr Busen steigt, Ihr Wesen ist so ahndevoll. Weiß nicht, was sie sich wünschen soll, Und unter vieler Grillen Lauf Steigt wohl einmal ein Seufzer auf.
Konnte dieses sinnige, träumerische, liebliche Wesen ein Kind des Hans Sachsischen Geistes sein? Ist's nicht Gretchen? Ist's nicht Clärchen?
Unter solchen Händen durfte auch der von den Kunstpoeten so verachtete Vers mit seinen Hebungen der tiefsinnigen Fausttragödie zum Kleide dienen.
Und so steht nun der Dichter überall zu den Formen, die er sich nach Herder'scher Unterweisung aneignet. Bürger zieht das Vorgefundene eher herab als hinauf; bei Goethe kommt das, was der aufgenommenen Form und Weise gewissermaßen als Idee vorschwebt, ohne völlig realisirt zu sein, zu Abschluß und Vollendung. Mit leiser, zarter Aenderung, sich selber unbewußt verklärt und vertieft er das Alte; es scheint noch dasselbe; aber „ausgestoßen hat es jeden Zeugen menschlicher Bedürftigkeit".
Auch die andern Weisen, die durch Herder bekannt wurden, und die mehr für lyrische Sachen sich eigneten, waren dem leichtlebigen, des Genius vollen, jugendlichen Dichter so recht „bequem".
Bequem aber mußte allerdings die Form durchaus sein; denn das dichterische Leben quoll in dieser reichen Seele so mächtig, daß es vielfach vom Singen gar nicht bis zum Aufschreiben kam — der Dichter sang und summte eine Weise vor sich hin; er staunte, wenn's zu Ende war, und konnte nun