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naiv natürlich, so poetisch lebendig, so gab es wohl keinen der Mitwirkenden, keinen der Zuschauer, in welchem nicht Gedanken wuchtigen Ernstes, Empfindungen ergreifender Art rege wurden. Nach achtzehnjährigem Dulden und Warten hatte das alte Recht doch endlich gesiegt. Wünsche, die längst begraben waren, fanden ihre Erfüllung, Hoffnungen, längst aufgegeben, ihre Verwirklichung. Das Reich des heiligen Stephan feiert seine Auferstehung, die Unabhängigkeit des Landes, das seit Jahrhunderten heiß ersehnte, niemals bisher erreichte Ziel, ist eine festbegründete Thatsache geworden. Nicht die alte avitische Verfassung gilt zwar in Ungarn, aber was an ihre Stelle tritt, sichert die alten Rechte, fügt neue hinzu. Durch die Aufnahme moderner konstitutioneller Formen in die Verfassung ist derselben die Gewähr wirklicher Lebenskraft, einer Dauer verliehen worden, ohne daß an ihrem Kern gerüttelt würde.
Die Krönung des Königs Franz Joseph bedeutet noch mehr als die Wiederherstellung des altungarischen Landesrechtes: den förmlichen Bruch mit den Tradilionen der östreichischen Politik. Denn in diesem Falle ist die Krönung keine bloße Ceremonie, die ohne weitere Besinnung durchgemacht wird, weil es Herkommen und Gebrauch so wollen, sondern nach der langen Weigerung der Fürsten, nach all den vorhergegangenen Ereignissen, ein wirklicher Staatsact. Was Maria Theresia. Joseph der Zweite und Franz der Erste jeder in anderer Art, jeder mit dem gleichen Eifer angestrebt haben, wird verdammt, für null und nichtig erklärt. Vergebens waren ihre Bemühungen, den ungarischen Sondergeist zu brechen, umsonst alle Versuche, durch einschmeichelndes Wohlwollen, durch Gewaltacte, durch hinhaltende List die Verfassung zu untergraben. Der Erbfeind.des östreichischen Staates, wie ihn die alten Staatsmänner wenigstens auffaßten, der Dualismus hat gesiegt, ist das Grundgesetz des Reiches geworden.
Ob nicht den Einen und Andern, die im Krönungszug pomphaft einherschritten, der blutige Schatten Ludwig Batthyanis aufschreckte, der nichts Anderes wollte, als was heute der Fürst beschwört, die wiener Minister billigen, die östreichischen Generale als nützlich und nothwendig anerkennen? Ob nicht, als der ehemalige „Hochverräther" und gegenwärtige Ministerpräsident Gras Andrafsy mit lautem Rufe das I^'en g. LiiÄv ausbrachte und die Versammlung jubelnd in das Hoch auf den König einstimmte, die Märtyrer von Arad, die gepeitschten Frauen, die von Haus und Hof verjagten Männer, die in die Gefängnisse geschleppten Jünglinge wie ein Geisterchor durch die Krönungskirche schwebten, sie alle jetzt gerechtfertigt in ihrem Beginnen, um so beklagens- werther in ihrem entsetzlichen Schicksale.
Wenn diese Erinnerungen keinen Mißton in die festliche Stimmung, in den lauten Jubel warfen, so kann es nur dadurch erklärt werden, daß die Ueberzeugung allgemein herrscht: die Opfer waren nicht unnütz, ohne die absolute