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Zur Geschichte des Urchristenthums : 4. Fr. Chr. Baur.
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ihr gestaltet habe. Daß nun das Letztere der Fall ist, wird von Baur aufs geistvollste und überzeugendste nachgewiesen. Die ganze Komposition hat einen ideellen, absichtvvllen Charakter, der geschichtliche Stoff ist nur der Reflex oder die versinnlichcnde Hülle des dogmatischen Grundgedankens. Und zwar besteht nun die durch das Ganze sich durchziehende Idee in dem Gegensatze Jesu als des in der Welt erschienenen göttlichen Licht- und Lebensprincips zu der jüdischen Well, in welcher das Princip der Finsterniß und des Unglaubens repräsentirt ist. Mit dem Eintreten des göttlichen Worts (Logos) in das Fleisch beginnt der große Kampf zwischen Licht und Finsterniß, Leben und Tod, Geist und Fleisch, und nun wickelt sich in den Thatsachen des Lebens Jesu dieser Gegen­satz als ein von Moment zu Moment fortschreitender Proceß ab, der im letzten Aufenhalt Jesu zu Jerusalem sich zu seinem dramatischen Höhepunkt erhebt und in Tod und Auferstehung seinen Abschluß erhält. Unter diesem Gesichtspunkt steht alles Thatsächliche, was der Evangelist aus der Tradition aufgenommen oder umgebildet oder frei geschaffen hat. Und von hier aus fällt nun auch auf die Abweichungen des evangelischen Stoffs von dem der übrigen Evangelien erst das rechte Licht. Von hier aus läßt sich die relative Glaubwürdigkeit der einen oder der andern Darstellung beurtheile», jetzt erst ergeben sich für den geistigen Kreis, aus welchem es hervorgegangen ist, für die Zeit der Abfassung, für den Verfasser bestimmtere Anhaltpunkte. Und nun treffen alle Momente zu­sammen: die Ausbildung der Lvgoslehre, das Verhältniß zu der schroff juden­christlichen Offenbarung des Johannes, die Beziehungen zu den gnvstischen Ideen und zu dem Streit über die Passahfeier, dazu endlich die Beschaffenheit der äußeren Zeugnisse alles weist darauf hin, daß das Evangelium nicht von dem Sohn des Zebedcius geschrieben ist, sondern als letzte und reifste Frucht des Entwickelungsgangs, welchen das urchristliche Bewußtsein genommen, der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts angehört. Von seinem fortgeschrittenen christlichen Standpunkt aus und in der Ueberzeugung, den wahren Geist dcS Christenthums und Christi besser als die noch im Judenthum befangenen älteren Evangelisten gefaßt zu haben, konnte sich der alexandrinisch gelehrte Verfasser berechtigt glauben, die evangelische Geschichte umzuändern, Jesus Reden in den Mund zu legen, die seinem .fortgeschrittenen Standpunkt entsprechen, ja sich selbst als den Schoß- und Bufenjünger Jesu, wenn nicht ausdrücklich anzugeben, doch deutlich genug errathen zu lassen.

Von da aus wandte sich dann Baur Schritt für Schritt rückwärts zu den drei ersten Evangelien. Die Analyse des JohanneSevangeliums hatte gezeigt, daß ihm gegenüber die synoptischen Evangelien die ursprünglicheren und glaub­würdigeren sind. Nur um so mehr kam es nun aber darauf an, nachzusehen, ob sich nicht auch bei ihnen ein dogmatisches Interesse verrathe, welches auf ihre Geschichtserzählung Einfluß gewonnen hat. Wie verhielten sie sich, dies