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Hermann Grimms Michelangelo.
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ihr aufs tiefste berührt wird. Dazu dann sein äußeres Leben, das wechselnde Verhältniß zu seinen Auftraggebern, seine Theilnahme an den politischen Käm­pfen. Aus dein Freund des medicäischen Hauses wird ein glühender Anhänger der Republik, das Schicksal seiner Vaterstadt wird sein persönliches Schicksal, mit jedem Papst, der zur Regierung gelangt, beginnt gleichsam ein neuer Ab­schnitt seines Lebens, und die politischen Wechselfälle, denen die Herren von Rom unterworfen sind, greifen zum Theil direct in seine künstlerische Wirksam­keit ei». Sind wir dann am Ende dieses Lebens angelangt, und werfen einen Blick rückwärts, so fällt uns mit einem Male die ungeheure Veränderung ins Auge, die sich inzwischen auf allen Gebieten vollzogen hat. Nicht blos die Kunst ist eine andere geworden, wesentlich durch die Einwirkung Michelangelos selbst, sondern auch das Verhältniß der Kunst zum Leben, die persönliche Stel­lung der Künstler, die politischen, religiösen, socialen Bedingungen haben sich geändert, das Papstthum hat sich erneuert, das Hofleben inzwischen seinen mo­dernen Charakter entwickelt, das ganze Jahrhundert hat eine völlig andere Ge- stalt angenommen. Und es ist keineswegs eine willkürliche Abschweifung, wenn der Biograph Michelangelos auch alle diese Veränderungen aufmerksam ver­folgt; denn auf Schritt und Tritt drängen sie sich im Lebendes Künstlers auf, sein Charakter wie seine äußere Stellung werden durch sie wesentlich bestimmt. Sein Leben ist recht eigentlich ein Stück Zeilgeschichte, wie hinwiederum die Zeitgeschichte mit dem wechselnden Verlaus ihrer Erscheinungen ein wesentliches Moment seines Lebens ist. Für den Biographen eröffnet sich somit eine Auf­gabe, so wcitumsassend und so vieler Detailstudien bedürftig, daß auch nur ein­zelne Punkte wesentlich gefördert zu haben, verdienstvoll ist, eine Aufgabe, wür­dig eines Historikers im größten Sinn.

Einen ersten Versuch, von diesem Gesichtspunkt aus das Leben Michel­angelos zu schreiben, machte der Engländer Harford (I^its o! Nieriölmrgölo Kuonai-roti II vol. I^onäou 1857). Er streute zu diesem Zweck da und dort längere Cxcurse ein, in denen er sich über die politischen Verhältnisse in Flo­renz, über die platonische Akademie, über Savvnarola, Viktoria Colonna, die Nefonnationsbewegung in Italien u. s. w. ausführlich verbreitet. Aber diese Excursc könnten ebensogut als Anhang am Schlüsse stehen, sie sind zu wenig innerlich verknüpft mit der eigentlichen Erzählung, man vermißt den schärferen Nachweis, wie das Leben des Künstlers in jedem Moment in die allgemeinen Ereignisse und Erscheinungen übergreift oder durch sie beeinflußt wird. Da­ngen ist es nun gerade die Eigenthümlichkeit von Hermann Grimms Dar­stellung, daß er diesen Zusammenhang jeden Augenblick festhält. Ein schneller und unaufhörlicher Wechsel führt uns aus des Künstlers Werkstatt in die seiner Mitgebenden, führt uns bald in die Gemächer des Vaticcm, bald in die Nathsversammlung von Florenz, läßt bald die Entwürfe des deutschen Kaisers,