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Neurussische Realpolitik. 3.
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bus, mit welchem Rußland früher seine aggressive Politik verfolgte, ohne auf ernstlichen Widerstand zu stoßen, ist geschwunden, seitdem der orientalische Krieg bewiesen hat, daß das Reich zwar nicht zu erobern, aber durch rasche Entkräftung zu bezwingen ist. Zugleich hat diese Periode vor aller Welt dargethan, daß Rußlands Hauptvortheil für sich, wie seine Hauptgcfahr für Europa daraus hervorgeht, daß es mit seinen Ansprüchen auf volle Gleich­stellung im europäischen System auf ganz andern Voraussetzungen fußt, als die europäische Welt. Seine Politik ist weder von den gleichen socialen Be­ständen bedingt, noch zu gleicher;. Rücksichten auf dieselben gezwungen. Die gleichen Lebensgrundlagen können sich' erst herstellen, wenn die jetzige Ueber­gangsperiode abgethan ist. Erst dann darf die russische Politik ans ihrem Standpunkt hoffen, einem sie volo, sie ^judov den nachhaltigen materiellen Nachdruck unter dem Schutz moralischer Berechtigungen geben zu können.

Allein auch dies wird unmöglich, wenn unterdessen die andern Großstaa­ten ihre Wechselbeziehungen ohne Rücksicht auf Rußland eonsolidiren können. Eine PSlitik der Beunruhigungen ist das Mittel dies zu verhindern; doch Rußland muß die Provocation vermeiden, um nicht sein inneres Neorgani- sationswcrk beeinträchtigt zu sehen. Jsolirt vermöchte es diese einander wider­sprechenden Aufgaben nicht durchzuführen. Es bedarf einer alliirten Politik, mit deren materiellen Interessen es nicht collidirt, mit deren innern Voraus­setzungen die seinigen möglichst übereinstimmen. Dies alles bietet der neu- napoleonische Imperialismus, während überdies die Allianz mit Frankreich zur Theilung der europäischen Hegemonie eine der Traditionen russischer Po­litik seit Katharina ausmacht. Dieorganisirte Demokratie" des heutigen westlichen Absolutismus ist die einzige europäische Staatskunst, welche sich von den politischen Bedingungen des Bürgerthums lossagt, die für Rußland nicht existiren. Sie ist ferner die einzige Staatskunst, welche gleichermaßen wie Nußland, in der Centralisation das Hauptmittel ihrer absoluten Beherr­schung des nationalen Lebens findet. Sie ist demzufolge endlich auch die einzige Staatskunst, welche blos die von ihr octroyirtcn Entwicklungen aner­kennt, und deshalb auch die Resultate jeder Lebensgestaltung für den momen­tanen Staatszweck in Anspruch nimmt.

In diesen innern Uebcreinstinnnungen liegt die Nothwendigkeit der russisch-französischen Allianz; die momentane Uebereinstimmung in bestimmten Politischen Fragen (der Donaufürstenthümer, Italiens zc.) begünstigte blos als glücklicher Zufall deren raschere Entwicklung. Aber daß sie ungefähr­det bleibt, beruht darauf, daß Frankreich am goldenen Horn, in der Ost­see, in Mittel- und Hochasien mit Nußlands materiellen Interessen nicht zusammenstößt. Dieses Verhältniß wird freilich voraussichtlich blos so lauge

Grenzboten I. 13S9. 53