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daß er den Odenton ganz von sich fern hielt: seine Weise ist durchweg deutsch. ..Claudius kennt nur den unmittelbaren Alisdruck poetischen Lebens, den Naturlaut der Seele. . . Das Lied war die seinen Gaben angemessene Form. Es ist wahr, es ist nicht der sonnige Glanz, es sind nicht die feinen Umrisse, der buntfarbige Gestaltenreichthum der Goetheschcn Lyrik . . . schon der Umfang war weit enger. Zunächst fehlt so gnt wie völlig die erotische Gattung. Grade hier hangt Leben und Dichtung so enge zusammen. Goethes !o vielfach umgetriebenes Hcrzensleben hat bei dem Mangel eines stetigen Glücks gleichsam einen Ersatz dafür in diesen hundertfach modulirten Tönen gefunden; Claudius einfacherer und reinerer Lebensgang fand früh ein Glück, das alle Sehnsucht verstummen machte." Seine Lieder haben das Leben in der Natur, die Zustände des Landmanns, die kleinen und großen Vorgänge des Familienlebens und weiterhin Fragen, die das Menschenwohl und der Christen Hoffnung angehn zum Gegenstand. Alles Menschliche wird auf seine örtliche Bestimmung bezogen. „Er gibt als Dichter, was er selbst erfahren, ^ozu er sich mit Herz und Mund bekennt, das gibt seinen schlichten Liedern den Eindruck der Treue, des Erlebten, und steht ihnen so wohl." „Claudius ^ill den Bauernstand heben, indem er ihm die Erkenntniß seiner Lebensgüter zu schärfen sucht, iudem er sich selbst ihm zugesellt >. . . Der Schutz des eignen Rechts und des eignen Werths jenes Lebenskreises, dem er geilst werden will, ist sein Standpunkt." „Am meisten ist ihm das brüderliche Gefühl für das vielgestaltige menschliche Leiden eigen." „Auch in seinen ^aturliedcrn läßt er das menschliche Element und Wesen walten; leiht doch der Mensch erst der Natnr die Seele. Trotz des tiefen Naturgefühis, das 'hn belebt, stellt er fast nirgend die Natur für sich und um ihrer selbst willen dar. sondern ihre Beziehung zum Menschen und zu Gott ... Er steht in geradem Gegensatz gegen die pantheistische Ansicht von der Weltsecle, die ^eilich den verführerischen Reiz des Jdeenreichthums, der Bilderfnlle und buntester Färbung voraus hat." ..Er will es ernst nnd start zu Gemüthe führen, daß hinter der Natur ihr Gott, hinter dem Leben aber der Tod steht, ^anrit hängt seine Vorliebe sür die Schilderung des Todes zusammen, auf dessen Bild und dessen Mahnungen er immer wieder zurückkommt, der als Schutzheiliger und Hnusgott an der Hausthür seines Buches steht." Bei der Perle seiner Gedichte, dem Abendlied, „liegt der Zauber grade darin, daß ^ keine bloße Abschrift der Natur ist und ebenso wenig eine bloße Empsiu- ^'ug in der Natur. Gleichsam mit geschlossenem Auge läßt der Dichter die g^chaute Schönheit an dem innern Blick vorübergehen, und wirkt durch sol- ^6 Nachdenken der großen Schöpfungsgedanken, daß man nicht blos glaubt ^ die Wahrheit dieser Naturbilduerci. daß man das Bild schaut mit seiner Innern lebenden Seele, und verwandte Stimmungen wach werden/' Das
Grenzboten I. 13S9. 43