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Die architektonischen Bestrebungen unserer Zeit. 4.
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die Befreiung von der übergreifenden Macht des nordischen Gedankens und damit eine höhere Vollendung.

Die italienische Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts, die Renaissance ent­ledigt sich des heterogenen Spuks nordischer Decorativformen und weiß im engern Anschluß an die Antike die formale Seite des altitalienischcn Stiles zu classischer Correctheit und harmonischer Schönheit zu steigern. Ebenso legt sie. in Rücksicht auf die charakteristische Seite, die Resultate des altitalienischen Stiles ihren Schöpfungen zu Grunde. Ihm analog spricht sie in der äußern Gliederung den innern Organismus wahr und lebensvoll aus; sie verbindet «der hiermit ein so hohes Gefühl für Maß und Harmonie, daß sie imRhyth­mus der Massen" eine neue Schönheit der Verhältnisse gewinnt. Die Schwester­künste. Sculptur und Malerei, werden nach Vorgang des altitalicnischen Stiles M folgenreichster Mitwirkung herangezogen und es entwickelt sich besonders in der Decoration der Jnnenräume ein ungeahnter, nie erreichter, edler, groß­artiger, phantasievoller Geschmack. Dabei ist die Technik eine durchaus wahre, solide, dem Stoff angemessene. In dem Material und seiner Eigenthümlich­keit findet sie das Gesetz sür die Darstellung gegeben. Der Backsteinbau ent­wickelt sich zu einer dem Marmorbau ebenbürtigen Schönheit. Im Wölb­princip folgt die Renaissance dem altitalienischcn Stil. Das Gefühl für Wciträumigkeit, das die kühnen technischen Leistungen desselben bedingt, wirkt fort, steigert sich sogar zu statischem Fortschritt. Im Prosanbau bildet es den Gwndplcm zu hoher Poesie und Großartigkeit aus. Der italienische Grund­plan ist gradezu mustergiltig.

In solcher Weise gestaltet sich die Renaissance des fünfzehnten Jahrhun­derts. Sie erscheint, um es kurz zusammenzufassen, als eine höhere Entwick­lung und Vollendung des altitalienischcn Baugedankens, insofern sie im engern Anschluß an das römische Alterthum die formale Seite der altitalicnischen Kunst reinigt und veredelt, die kühnen technischen Leistungen derselben aber aufrecht erhält, ja steigert; mit dem tiefen lebensvollen Organismus, der räumlichen Charakteristik des altitaliemschen Stiles verbindet sie eine hohe harmo­nische Schönheit in der äußern Erscheinung, im Ganzen wie im Einzelnen. Die in der altitalienischen Kuust erstrebte Verschmelzung des mittelalterlichen Und antiken Stilprincips hat in der Kunst des fünfzehnten Jahrhunderts einen bedeutsamen Schritt nach vorwärts gethan. Und hiermit hat die Renaissance 'hren Höhcpuukt erreicht, ihre weitere Bahn ist eine abwärts führende. Mag "nch die formale Seite der Kunst in den nächsten Decennien erst zu höchster ^lüte gedeihen, mag jenes rhythmische Gcsühl bis zum Ende der Epoche süchtig und frisch sich erhalten, mag jene Großartigkeit der Auffassung noch die Anlagen der spätesten Zeit durchwehen, die innerste Kraft mußte erlöschen, weil man aufgehört hatte, in einem lebendigen Organismus die Seele der