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der Indianer nur zwei. Tapferkeit und Weisheit: für Mäßigkeit und Gerechtigkeit fehlt ihm sogar das Wort. So reich feine Sprache an Ausdrücken ist, um Selbstgefühl, Kraft, Schlauheit zu bezeichnen, so wenig kennt und nennt er Dankbarkeit, Milde, Verzeihung. Der Wilde ist Naturkind, kein edleres Gefühl, kein höherer Gedanke kann ihn auf die Länge beherrschen. Heute ist er offen, treu, gutherzig, kind- lich fröhlich, — morgen springt plötzlich, wenn sein Stolz oder seine Habsucht erregt wird, die Leidenschaft in ihm auf; er kann sie nicht bemcistern, und ist er einmal im Morden, so wird er grausam und entsetzlich, weil die wilde Wuth ihn fortreißt. Man bildete sich früher ein, wilde Völker müßten noch einen Nest von paradiesischer Unschuld haben, — die Erfahrung zeigte überall nur das gerade Gegentheil davon. Ein dauerndes schamhaftes Gefühl würde man ebenso vergebens im Busen der jungen Indianerin suchen, wie bei der vcrheiiathcten eheliche Treue. Gefallsucht und Leichtsinn bleibe» die unzcrstörliche Naturgabe der Mädcheu und Fraueu bei dcu Wilden; leicht gereizt folgen sie ohne Bedenke» ihrer Lüsternheit. Jungfräulichkeit seiner Braut ist dem Manne glcichgiltig; den Ehebruch rächt er als einen Eingriff in sein Eigenthum, aber er findet nichts Unrechtes darin, Frau und Tochter dem Gast aus Gefälligkeit oder aus Gewinnsucht anzubieten. Auch die Indianerin hat ein lebhaftes Mnttergesühl, gleichwol weist es auf schlechte und schändliche Gewohnheiten zurück, daß die Jndianerchcn so unfruchtbar sind, und daß die Kinder aus denselben so häusig in dc» Tagen sterben, wo sie noch zarter Pflege und Liebe bedürfen.
Wer die Wohlthaten der Civilisation recht tief erkennen will, der braucht nur ein paar Tage unter Indianern zu leben. Es sind nicht die tausend kleinen An- nchmlichkcile» und Genüsse des civilisirtcn Lebens, welche man vermißt, es liegt vielmehr für eine Zeitlang eine Lust darin, auf die ursprüngliche Freiheit und Kraft des Menschen zurückgeworfen zu sein; allein niemals entgeht man dem widerwärtige» und trostlosen Eindruck, daß diese wilden Völker kein Hauch von sittlicher Energie, kein Heller Gcistcsstrahl belebt. Die Menschcnnatur zeigt sich, unter ihnen in ihrer Niedrigkeit. Im Wilden liegt der geistige Mensch noch gefangen. Trägen und verdüsterten Sinnes, ein Spiel seiner Einfälle und Leidenschaften, lebt er einförmig seine Tage hin, es fehlt ihm alle Ahnung eines edleren Daseins. Erst durch die Arbeit und die Kämpfe, durch die Noth und die Leiden der Civilisation erhebt sich der Mensch auf die Stufe, wo er ein edles und schönes Menschenkind wird, voll herrlicher Genüsse und Kenntnisse, voll erhabener Gefühle und Ideen.
Ist es aber nicht möglich, daß der Wilde, erweckt und belehrt durch den Ci- vilisirteu, dcu finstern Bann durchbreche, in welchem ihn eine dämonische Gewalt wie in einem geistigen Tode gefangen hält? Kann nicht auch der Indianer der Wohlthaten der Civilisation theilhastig werden? Die Erfahrung sagt entschieden Nein. Der Wilde kann nur gedeihe» iu freier Wildniß; wo die Cultur ihm näher rückt, entweicht er oder vergeht er wie das Waldthicr. Die Berührung mit der Civilisation ist seinem Leben feindlich, schon der Blick der weißen Männer scheint ihm verderblich. Die Völkerschaften auf den westindischen Insel», die mächtigsten Stämme der nvrdamcrikanischcn Indianer sind in wenigen Jahrhunderten von der Erde verschwunden. Auf allcn Inseln der Südsce macht sich ein rasches Absterben der einheimischen Bevölkerung bemcrklich. Die Angaben der Entdecker dieser Inseln über