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Müllers Stil, so viel man gegen ihn einwenden kann, hat zuerst dem deutschen Volk das Mittelalter in der Fülle seines Lebens und in seiner lebendigen Farbe ausgeschlossen, namentlich das 14. und 15. Jahrhundert. Man denke daran, daß die Dcclcnnationen zu Gunsten des Mittelalters erst um das Jahr 1803 beginnen, und daß diese Rhetorik nicht viel gefruchtet haben würde, wenn man nicht zugleich auf ein für classisch geachtetes Geschichtswerk hätte hinweisen können. Um zn erfahren, wie es im Mittelaltcr eigentlich aussah, fand man in der Schweizergeschichte doch eine viel reichere Ausbeute als in sämmtlichen Vorlesungen und Gedichten der romantischen Schule. Diese träumerische Märchenwelt hatte keinen historischen Hintergrund, und die frühern deutschen Geschichtschreiber, die alle dem Pragmatismus huldigten, hatten keine Farbe. Aus Müller haben wir für das Mittelalter empfinden gelernt, und wenn sich unsere Forschung seitdem vertieft hat, so ist das kein Grund, gegen ihn undankbar zu sein.
Nachdem Müller aus der Wanderschaft sein Wert vollendet, mußte er dnrau denken, seinem Leben einen äußern Halt zn geben. Da er das Peinliche seiner Lage zuweilen bitter empfand, obgleich seine Freunde, namentlich Füßli, alles aufboten, sie ihm zu erleichtern, sah er sich unruhig nach allen Seiten um, eine ähnliche Stelle zu finden, wie die er in Kassel so leichtsinnig verscherzt. Endlich bot sich ihm eine bestimmte Aussicht. Diez, der gelehrte Bibliothekar zu Mainz starb in der Mitte des Jahres 1785 und der Physiker Sömmering, mit dem sich Müller in Kassel befreundet hatte und der jetzt am kurfürstlichen Hof zu Mainz großes Ansehn besaß, dachte sofort an Müller. Auch der Minister Freiherr von Benzel - Sternau wurde gewonnen. Am eifrigsten verwandte sich Heyne für ihn (30. October 1785). Den 29. Nov. schreibt Müller an Sömmering: „Wenn je irgend ein Protestant an einem solchen Ort zu stehen verdient, so, dünkt mir, kann derjenige, welcher der erste unter allen Protestanten dieser Zeit in den Reisen der Päpste die Hierarchie vertheidigt, wol vorzüglichen Anspruch darauf machen. Ich bin gewissermaßen ein Märtyrer derselben, da die allgemeine deutsche Bibliothek für gut befunden, mich einer Verständniß mit den Jesuiten zu insimulircn, die zwar falsch ist, die mir aber wenigstens zu Mainz nichts schaden soll." Nun kam es darauf an, den Kurfürsten, der nicht gern dem Rath eines andern folgte, von selbst ans diese Idee zu bringen und das führte Sömmering mit großein diplomatischen Geschick aus. „Ich bekam," schreibt Müller an Dohm. „am 17. Jan. 1786 einen eigenhändigen Brief des Kurfürsten, er sei geneigt, mir die Stelle aufzutragen, und wünsche, daß ich baldigst nach Mainz komme. Dies versprach ich zn thun. Alle meine Freuude bezeugten hierbei ihr Leid auf eine meinem Herzen äußerst rührende Weise. Als ich aber endlich am vorletzten Tage meines Aufenthalts im Vaterland (20. Jan.) noch einmal über die Krise, worin Eu-