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Johannes von Müller und seine Zeit. 4.
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nchms betrachtet. Aufs eifrigste wurde er in seiner Arbeit von allen Classen des Volks gefordert. Wenn er die Heldenthaten der Eidgenossen feierte, so hatte er das glückliche Gefühl, einen lebendigen Gegenstand zu behandeln, denn wie tief die Schweiz seit drei Jahrhunderten in ihrer Thatkraft gesunken war, das Gedächtnis; hatte sie nicht verloren. Um wie viel günstiger war hier der schweizer Geschichtschreiber gestellt, als der deutsche, der es unternahm, das Mittelalter zu beschreiben. Dazu kam die höchst malerische Localität, die den Ereignissen Farbe und Stimmung ungesucht entgegenbrachte. Die ganze Geschichte hat einen einheitlichen Charakter, die Heldenthaten der Schweizer bezogen sich fast durchweg auf die Abwehr fremder Eroberer, die großen Welt­händel hatten sie nicht berührt. Eine Kenntniß der europäischen Zustände war wol wichtig, um mit Hilfe der Analogie die eignen Verfassnngcn besser zu verstehen, im Uebrigen konnte der Geschichtschreiber in feiner Heimath bleiben und dort jene Stetigkeit des Blicks gewinnen, die man auf einem sehr um­fangreichen Schauplatz mir zu leicht verliert. Und in dem Local seiner Ge­schichten war Müller so zu Hause, wie Homer in den Gegenden seiner Alias. Er wußte über jeden Berg, über jedes Dorf Rechenschaft zu geben. Auf sein empfängliches Gemüth, welches noch dazu durch Hallers Dichtungen angeregt war, hatten die Alpen einen mächtigen Eindruck gemacht; den er in seiner Geschichte wiederzugeben suchte. In der That sind einzelne von seinen Alpen­bildern prachtvoll ausgeführt, es ist indeß die Frage, ob die Virtuosität der historischen Malerei nicht über das Maß der Geschichtschreibung hinausgeht. Jene Gemälde sind Neiseeindrücke; historisch motiviren sie nichts, und wenn die Beschreibung fertig ist, läßt der Geschichtschreiber den Faden fallen. Selbst da, wo die Localität für das Ereigniß maßgebend ist, z. B. bei Schlachten, sieht die Landschaft mehr wie ein Ornament aus. Müller hatte nicht jenen festen Blick, der schnell zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen unter­scheidet und nnr das erste verfolgt, er brachte den Thatsachen keine bestimm­ten Fragen und Gesichtspunkte entgegen, sondern ließ sich von ihnen leiten. Seine Gemälde sind zuweilen überladen: er sucht alles, was ihm an Farbe aufstößt, darin anzubringen und vergißt, daß der Maler wühlen muß, da zuweilen eine Farbe die andere aufhebt. Seine Aufmerksamkeit ist zu unruhig um an jenem festen Standpunkt zu haften, der allein eine geordnete Grup- p"'ung möglich macht.

Die kritischen Untersuchungen über das römische Zeitalter sind durch spätere Schriftsteller vielfach überholt; sein Talent ging nicht nach dieser Seite nnd man wird nicht selten an die fragmentarische Darstellung des cimbrischen Krieges erinnert. Der leitende Gedanke ist der Haß gegen das Weltreich, das alle individuelle Gestaltung zertrümmert. Viel bedeutender sind bereits die Slttenschilderungen aus dem 10. und il. Jahrhundert, wobei ihm zu

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