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durften wenigstens seine Gegner annehmen, ohne daß man ihnen irgend eine thatsächliche Einwcndnng hätte machen können. Man konnte die These vertheidigen, daß Louis Napoleon, einmal aus den Thron gelangt, seine Sendung für vollendet betrachten werde. Seit heute ist das anders geworden, Louis Napoleon hat dargcthcm, daß sein Ehrgeiz durch Krone und Scepter noch nicht befriedigt sei, und daß Europa darauf gefaßt sein müsse, von nun an mit dem Kaiser der Franzosen als mit einem sclbstständigcn historischen FacK'r zu rechten. Die kaiserlichen und königlichen Kabinette wissen nun, daß sie mit keinem zweiten Louis Philipp zn thun haben, der auch die Demüthigung duldet, wenn er nur dadurch seine eigene Duldung crkanfen kann. LouiS Napoleon schlägt seine Gegner mit deren eigenen Waffen; man will ihn verächtlich mit dynastischem Stolze als Emporkömmling behandeln, er proclamirt sich sclbst als pai'veim und erklärt, stolz daraus zu sein. Die heutige Rede ist ein wahres Meisterstück, und der ganze Charakter Louis Napoleon's spricht sich in ihr aus. Scheinheilige Mäßigung neben boshafter, obgleich unantastbarer Herausforderung, ganz wie in allen seinen bisherigen Acten. Dcr Sache nach unbeugsam und entschlossen, ist er der Form »ach schmiegsam nach allen Seiten hin. Erst erklärt er, daß er mit dcr alten Politik brechen wolle, dann versichert er, daß es im Interesse dcr eigentlichen und dauerhaften oiüenw eoräislö Frankreichs mit den anderen Monarchien geschehe. Gleich darauf wcndet er sich an die Vollgefühle, denen eine fremde Prinzessin widerstrebt, und er unterläßt es ja nicht, an die populairc Joscphinc zu erinnern. Nun wird wieder Oestreich ein sauersüßes Compli- ment gemacht, in dem Napoleon'S Hcirath mit Marie Louise als großes Ercigniß dargestellt wird, wcil Is maisvn Miyuv vl. illustn! 60 I'^ulriolie, welche Frankreich bis dahin bekriegt hatte, mm dessen Freundschaft eifrig zu suchen sci. Unter solchen Bedingungen könnte sich allenfalls auch Louis Napoleon entschließen, eine fremde Prinzessin in sein Ehebett zu holen, so liest man zwischen den Zeilen, — aber -- giebt er wieder deutlich zn verstehen, das Land zu demüthige», indem man Jahrelangem die Hand einer fremden Prinzessin bettelt, wie Louis Philipp (für den Herzog von Orleans), das würde er nimmer thun. Diese Phrase kaun auch so ausgelegt werden, daß Napoleon III. dnrch seiue wenigen Versuche, die Hand einer fremden Prinzessin zu erlangen, Alles gethan, was er mit der Ehre Frankreichs verträglich haltc. Das wäre also auch eine Art von Entschuldigung seiner selbst und eine Anklage dcr Orleans. Einen Satz weiter lesen wir dcn Kern dcr Rede, cine Hcransforderung Nußlands: „Wenn man dem alten Europa gcgcnübcr durch die Kraft eines neuen Princips aus die Höhe der alten Dynastien getragen wird, macht man sich nicht dadurch annehmbar, daß man sein Wappen altert und um jeden Preis in die Familien dcr Könige zu dringen sncht, sondern vielmehr, indem man seinen eigenen Eharaktcr behält, sich immerfort seines Ursprungs erinnert und Europa gegenüber freimüthig die Rolle des Emporkömmlings spielt, ein glorreicher Titel, wenn man durch die freie Wahl eines großen Volkes emporkommt." Dcr englische Gesandte konnte verhindern, daß der Kaiser das Ancrkcnnungsschrcibcn Rußlands zurückwies, aber diese öffentliche Genugthuung licß sich Lndwig Bonaparte nicht nehmen. Nun wendet sich der Kaiser wieder zn dcn Privatgcfühlcn dcr Franzosen, cr rühmt die Vorzüge dcr von ihm Auscrwähltcn — cr habe ihr dcn Borrang vor einer Unbekannten gegeben, die dem Lande Opfer auferlegt, wenn sie ihm auch Vortheile gebracht hätte. Die künftige Kaiserin ist keine Französin und hat daher auch keine Familie aus Kosten des Landes