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Die Situation in Piemont; Vincenzo Gioberti.
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Ein schmerzliches Ereigniß hat in letzterer Zeit Picmont und ganz Italien in tiefe Traner versenkt und auch in weiteren Kreisen die Sympathien aller derer gefunden, deren Herzen sich an den großen Kämpfen der Menschheit betheiligen, der am 26. Octobcr v. I. erfolgte Tod Giobcrti's. Die Mnnicipalität von Turin ließ die Leiche dieses edlen Patrioten nach seiner Vaterstadt bringen nnd seine feierliche Bestattung vereinigte alle großen Körperschaften des Staates, die Nationalgarde und die zahlreich zusammengeströmte Bevölkerung. In dem mäch­tigen Ausdruck der nativnaleu Trauer eines dankbaren Volkes verhallte der klein­liche Geifer, womit die Engherzigkeit unversöhnlichen Priesterhasscs selbst über das Grab hinaus den großen Todten verfolgte.

Wir glanbeu, daß ein kurzer Abriß dieses der Unabhängigkeit und Freiheit Italiens gewidmeten Lebens willkommen sein wird. Vinccnzo Gioberti wurde den !>. April 1801 iu Turin geboren, als Sprößling einer durch schwere Un­glücksfälle herabgetommencn Kausmannsfamilic. Vvu seiner Mntter erzogen, widmete er sich nach beendigten Studien dem geistlichen Berns und erwarb von 182325 nach einander in glänzenden Prüfungen die verschiedenen Grade bis zur Ordination. Der König Victor Enianuel >. stellte ihn in seiner Capelle an nnd Karl Albert ernannte ihn znm Caplan des Hofes. Um seine Unabhängigkeit nicht Preis zu geben trat er 1833 aus dieser Stellung zurück. Der Theilnahme an den rcvolutionairen Ereignissen jener Jahre beschuldigt, wurde er bald darauf verhastet, nach erkannter Unschuld zwar freigegeben, aber, als der Sympathie» mit der Bewcgungspartei verdächtig, verbannt. Er kam Ende 1833 nach Paris und erhielt ein Jahr darauf eine bescheidene Stelle in einer Privatschule in Brüssel. Während eilf Jahren unterrichtete er hier Kinder iu den Anfangs­gründen der Wissenschaften.

In dieser Zurückgezogenheit verfolgte er seine Studien und veröffentlichte jene Werke, welche den Anstoß zn den Negeuerativnsbestrelmngen Italiens gaben. Das philosophische, religiöse und politische System Givberti'ö war ganz in dem begründet, was er als die nothwendigen Bedingungen einer Verjüngung seines Volkes zu erkennen glaubte. Nach beiden Seiten hin stritt er deshalb gegen die Extreme, welche iu seineu Augen diese Entwickelung hemmten oder gefährdeten. Er wollte das Papstthum wieder zn jener großen, gnclfischen Rolle des Mittel­alters erheben, die allerdings über Deutschland Unglück und Zersplitterung ge­bracht hat, der aber Italien die Jahrhunderte hohen Rnhmes und seltener Blüthe verdankt. Er hoffte unter den italienische» Fürsteuhäusern wieder jene nationale Politik zu erwecke», die in der Versumpfung eines selbstsüchtigen Absolutismus, der seine Erhaltung mit der Abhängigkeit von Außen erkauft, verloren gegangen war. So sehen wir ihn nach einer Seite hin die Doctrinen der Bonald »nd de Maistre, welche den Katholicismus mit der Despotie verbrüdern, nach der an­dern die Uebertreibungen Lammenais' bekämpfen, der sich in socialistische Theorien