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Die Situation in Piemont; Vincenzo Gioberti.
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bestimmt den König von der Einführung der Civilehe abzubringen, den Be­strebungen der recictiouairen Fractiou zn Hilfe kam, fanden die Herren Revel und Balbo kein geneigtes Gehör für ihre Forderungen. Die Unterhandlungen mit Cavonr wurden wieder anfgenommen und ein Ministerium durch diesen zn Stande gebracht, dessen Zusammcnsetznng eine Leitung der ösfeutlichcn Angelegen­heiten im Sinne des entschieden constitntionellen linken Centrums in Aussicht stellte.

Der jetzige Ministerpräsident selber schied, wie man sich erinnern wird, vor einiger Zeit ans der Verwaltung d'Azcglio's, weil seine Person ganz besonders die Antipathien des Klerus und der rechten Seite erregte. Seine Rückkehr an die Spitze der Geschäfte mußte daher die energische Durchführung der begouucucn Reformen und die standhafte Vertheidigung der Unabhängigkeit Piemontö und der Krone gegen die Anmaßungen des Vaticans bedeuten. Er ist außerdem der hervorragendste Vertreter der Freihaudelspolitik und des Büuduisses mit England, und seine hohe finanzielle Kapacität verbürgte durchgreifende Maßregeln znr Ordnnug der durch die Folge» des unglücklichen Krieges mit Oestreich noch immer schwer verwickelten Finanzlage. Seine Gelangnug an das Rnder des Staates wurde deshalb von der öffentlichen Meinung, wie vvu der liberalen Presse, mit großem Beifall begrüßt, und die Entscheidung des Königs in dieser bedenklichen Krisis konnte die Anhänglichkeit an den Monarchen und seine Dynastie nur steigern und befestigen.

Die Session ist seit mehreren Wochen eröffnet und bis jetzt hat eine com- pacte Majorität der zweiten Kammer das nene Cabinet nnterstützt. Die Durch­führung des Ehegesetzes ist indeß im Senat ans übrigens vorauszusehende Hin­dernisse gestoßen; der Entwurf desselben, der schon ziemlich verstümmelt aus den Berathungen der Commission hervorgegangen war, wurde nach lebhaften Debatten mit 39 gegen 38 Stimmen verworfen. Dieses Ergebniß bennruhigte das Publi- cum nnd veranlaßte Brofferio, den Chef der demokratischen Linken in der zweiten Kammer, zu eiuer ziemlich scharfen Interpellation an das Ministerium; auf die bestimmte Versicherung des Cvuseilpräsidculeu jedoch, daß die Regierung die Eiubringnng eiues neuen Entwurfs vorbereite, ging die Versammlung znr Tages­ordnung über. Es erscheint »unmgänglich, daß, um dessen Annahme im Senate zu sicher», die Kroue vou der ihr zusteheudcu Befuguiß der Ernennung neuer Senatore» Gebrauch macheu muß, waö auch zweifelsohne geschehn wird. Die Petitionen der Municipalitäten wegen Einziehung der Kirchengütcr werden vor­aussichtlich durch die Auuahme der Tagesordnung beseitigt werden, und nur die Stimmen der demokratischen Abgeordneten für sich gewiuucu. Eiue Maßregel dieser Art wäre auch iu Picmoutö gegenwärtiger Lage ein eben so unkluges, als unnützes Wägestück.

Die Berathung des Budgets iu der zweiten Kammer bot die seltene Erschei­nung dar, die Versammlung dem Gonvernement eine Vermehrnng der Bewilli-