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lassen sich in jeder Situation nachweisen. Dadurch verlieren sämmtliche Charaktere einen guten Theil ihres individuellen Lebens, sie werden zu Schatten der Begebenheiten. Das Publicum weiß vielleicht nicht, was ihncu fehlt; aber Darsteller uud Hörer vermissen doch den größten Theil des reizenden Behagens, das stets durch die wahre uud genaue Darstellung menschlicher Natur ans der Bühne hervorgebracht wird. Dieser Mangel an Wahrheit und Genauigkeit in der Zeichnnng entspringt zuletzt ans einer Schwäche, entweder des Talentes, oder des ästhetischen Gcmeingefühls, oder beider, er ist bei allen unser» neuereu dramatischen uud epischen Dichtern sehr zn beklagen; aber das Talent, welches am meisten von Allen Hoffnung gab, ihn zu überwinden, ist doch Otto Ludwig, nnd wir möchten ungeduldig werden, daß dies ihm bei einem spröden uud undankbaren Stoff nicht hinreichend gelungen ist.
Von den Charakteren ist Jnda gnt, in einzelnen Scenen vortrefflich gezeichnet. Diese sichere, fröhliche Heldenkraft, der starke Sinn, welcher handelt, ohne viele Worte zu machen, und dabei das reine innige Verhältniß zn seiner Frau, das alles thnt sehr wohl. Dagegen ist das Gcgcnbild Jndas, Eleazar, verunglückt. Diese Figur hat lein inneres Leben, welches nns interessiren könnte, sie erscheint als störende Beigabe selbst in der Stcrbescene des Vaters, als Begleiter des Antiochus, sogar die Reue und Rücklehr znr Familie beim Martyrium der Brüder sind kurz, scizzeuhaft und deßhalb uicht glaubwürdig gezeichnet. Am wenigsten klar sein Verhältniß zur Mutter. Bei aller thörichten Zärtlichkeit Lea's für diesen Sohn weiß und erfährt sie im zweiten Act zu viel von seinem Abfall und seiner Freundschaft zu den Syrern, als daß die stolze Patriotin im dritten Act noch irgend eine Hoffnung ans ihn setzen könnte. Die Annahme, daß Mutterliebe sich über Fehltritte eines Lieblings zu täuschen vermöge und geneigt sein werde, immer wieder zu hoffen, nützt dem Stück nichts, der Dichter hätte nns diesen Proceß der Selbsttäuschung in der Seele der Mutter darstellen müssen. Für alle solche charakterisirende Züge war aber kein Raum. Unter den Nebenfiguren sind noch die Heuchler uud Schleicher aus dem Hause der Simciteu gnt gezeichnet, ebenso Nasmi, das zarte liebevolle Weib des Jnda. Im Vordergrund vor Allen steht Lea. Das menschlich Erschütternde, der Mittelpuukt der Haudluug, das, was dem Stück seinen Erfolg nnd relativem Werth giebt, ist die Darstellung des Leidens nnd der heroischen Kraft der Mutter. Sicherlich Gefühle von dem höchsten tragischen Werth, vollständig geeignet, den Zuschauer zu erschüttern uud fortzureißen; nur hat die Gelegenheit, bei welcher sie zur Darstellung kommen, für die Tragödie doch wieder ihr Bedenkliches. Vier Kinder der Frau sollen den Martertodt im fenrigen Ofen sterben. Diese furchtbare, crndele Thatsache sollen wir mit in Kauf nehmen, aber eine so unerhörte gransame Begebenheit empört uuser menschliches Gefühl in einem Grade, welcher für die reine tragische Wirkung nnvortheilhast ist. Was haben die rührenden guten Kinder verschuldet? Wir werden erschüttert bis aufs Innerste, aber sie jammern uns zu sehr und der Gedanke an ihren qualvollen Tod stört
Grenzten. I. ->W. 2