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schaftliche Sprache in ihrer formellen Vollendung seit der letzten Zeit so anerkennenS- werthe Fortschritte gemacht hat. ^. ^.
II
Aus Wien.
1.
Eine wunderliche Schrift. ^—
„Ueber Denk-, Rede-, Schrift- und Preßfreiheit" heißt eine Flugschrift, die in diesen Tagen hier erschien und die an sich zwar nicht bedeutend, aber durch ihren Ursprung Wichtig ist, indem sie nicht von einem gewöhnlichen Wohldiener herrührt, sondern als halbossiciell angesehen werden kann. Die öffentliche Stimme ist einig in der Bezeichnung ihres Urhebers, in dessen Salon man häufig die Führer unsres Obskurantismus findet.
Der Geschichte wird in dieser Schrift vom Anfang bis zum Ende in's Gesicht geschlagen, alle Begriffe sind verwechselt oder auf den Kopf gestellt. Nach einem frömmelnden, weitausgeholten Eingänge heißt es, durch das Christenthum sei Alles erfüllt, was die Philosophie je habe träumen und wünschen können. — Aufhebung der Sclaverei, Fürsorge für die Armen und Schwachen, Erhebung (weiter nnten heißt es sogar Gleichstellung) deS Weibes und Freiheit des Geistes. Nun wissen wir aber, daß die Sclaverci auch im Schooße des Christenthums ununterbrochen fortbesteht und daß für ihre Abschaffung wenigstens das kirchliche Christenthum nichts thut; wir wissen, daß die Philosophie nie Fürsorge für die Armen und Schwachen verlangt, sondern immer nur aus Willenskraft, Sichselbstgenügen und Todesverachtung gedrungen hat, und daß Wir diese gerühmte Fürsorge allzutheuer, nämlich mit kläglicher Bedürftigkeit und noch kläglicherer Anklammerung an das Leben bezahlt haben; wir wissen, daß, im Gegensatze zur allgemeinen Sitte des Abendlandes, die von den Juden entlehnte Trauungsformel noch immer das Weib echt morgenländisch die Magd des Mannes nennt: wir wissen, daß seit der kirchlichen Herrschaft des Christenthums der Geist mehr als je geknechtet wurde, indem man ihn mit Feuer und Schwert sogar zum Unmöglichen, zum Glauben zwingen wollte. S. 8 spricht auch den Versasser gegen die Beschuldigung des Gcdankenzwangs eifernd, diplomatisch ohne alle Betonnng nur der „weltlichen" Autorität in Fragen der Gedankenfreiheit der Kompetenz ab.
Auf seinen eigentlichen Gegenstand geht er in folgendem Satze über, den ich, als Probe des Styls und Tones, wörtlich anshebe: „Das Vorrecht, welches sonst der Mann der Waffen besaß, spricht jetzt der Mann der Rede und der Schrift an, und Mit schnöderem Höhne, als sonst der Krieggerüstete und Streitfertige das schwächere Gesindel nach Gelüste ausbeutete und mißbrauchte, will jetzt der Wortgerüstete und Streitfertige mittelst der Presse seine Herrschaft dem Leser fühlbar machen, denn statt der Leibeigenschaft soll sie die Gcisteigcnschast einführen (Im, c illuv I-^rimae! das wichtigste Privilegium der Kirche soll aufhören) und Alles soll lesen, aber bei Leibe nicht durch das Christenthum frei denken lernm, damit Alles zur täglichen Robot gehatten werden könne." ' ^
Es wäre Beleidigung für die Leser der Grenzboten, die Unwahrheit, dir Fäl- schungen, die Arglist dieses Satzes noch beleuchten zu wollen. Den rechtlos verfolgten und gehetzten Schriftstellern, für die es in Oesterreich schützende Rechtsformen gar nicht