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Zur Charakteristik Wilhelms v. Humboldt.
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und das Verhältniß schwindet mit dem Rausch der Jngend. Zwar dauert die ge­genseitige Theilnahme fort, und führt noch kurz vor Goethe's Tod zu einem Ver­such der Annäherung, aber dieser schlägt fehl, weil das Verhältniß nur eiu extatisches geweseu war, weil die Bildung des wirklichen Lebens beide nach ganz verschiedenen Richtungen geführt hatte. In dem Verhältniß zu Bettinen ist Goethe lediglich receptiv; der bejahrte Mann ergötzt sich zwar an der schwärmerischen Huldigung des jungen Mädchens, er wird auch einigermaßen geschmeichelt, aber seiu eigentliches Geschäft ist doch diese leidenschaftlichen Ausbrüche, die bei aller Poesie etwas Krankhaftes und Unnatürliches haben, ge­linde abzuwehren, oder wenigstens zu mäßigen. Ist hier künstlich gereizte Leiden­schaft das wesentliche Motiv, so ist es in dem Briefwechsel Nahel's mit Genz die Reflexion, die bei aller geistigen Tiefe, die wir an Rahel bewundern, und bei der genialen Leichtfertigkeit des Diplomaten uns doch hin und wieder mit einem ge­wissen Schauer durchfröstelt. Unendlich edler und sittlicher ist das Freundschasts- verhältniß zwischen Humboldt und der Unbekannten; es ist durchaus gegenseitig, frei von aller krankhaften Ueberspannnng, heimlich und doch gesund. Es beruht auf gegenseitiger Achtung, und, wie billig, ist es der Mann, dem nicht nnr die ei­gentliche Prodnctivität, sondern auch das Maaß zukommt. Es liegt Keinem von bei­den daran, seine unmittelbaren Stimmungen dem Andern aufzuzwingen, ebensowenig spinnt sich das Verhältniß im Paraphrasen eines nnd desselben Gefühls weiter fort; das Weib wird gebildet durch die liebevolle Theilnahme des reiferen Man­nes, und ihre innige, hingebende, gehorsame Liebe verleiht ihr höhern sittlichen Adel; der Mann wird sich selber klarer, indem er einer schönen Individualität ge­genüber fördernd, belehrend, mäßigend eingreifen kann, indem er zugleich mit Frei­heit, aber stets iu unmittelbarer Beziehung auf seine Freundin, den Schatz seiner Lebensersahrungen zu einem vollständigen, heitern Gemälde abrundet. Darum dauert das Verhältniß ununterbrochen und ungetrübt bis au seinen Tod; seine letzten Bemühungen sind, die Freundin auf seinen Tod vorzubereiten, und ihr die Bitterkeit desselben zu nehmen. Bis auf die kleinsten Züge herab z. B. die Deut­lichkeit seiner Handschrist erstreckt sich seine Sorgfalt für sie, und das in einer Zeit, wo er müde war der äußern Eindrücke, und sich selbst vor seinen ältesten Freunden in die Einsamkeit zurück zog.

Mit dem wohlthuenden Gefühl des Friedens, der nicht Quietismns, sondern erfülltes Strebe» ist, legen wir dieses werthe Buch aus der Hand.