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den, und dieses hat mit dem literarischen Artnshofe, den es eine Zeitlang beherbergte, nichts zu thun und wenig davon gespürt. Zwar war Goethe zugleich Minister und Herder Generalsuperintendent. Aber um von der politischen Wirksamkeit des ersteren zu schweigen, so hat der gegenwärtige Kirchenvberste Nöhr, den man auch der Kürze wegen und nicht unbezeichncnd schlechtweg deu General nennt, seinen Charakter und seinen theologischen Standpunkt den kirchlichen Zuständen des Landes ganz auders und weit entschiedener aufgeprägt als der Humaue Herder. Die Stadt Weimar kann auch nichts dafür, daß der Stern der deutschen Poesie über ihr feststand, so wenig wie Bethlehem dafür konnte, daß die heiligen drei Könige da einkehren mußten, und die Krippe, daß in ihr das Jesuskind lag. Weimar als Staat kvnute die Literaturheroeu nicht anziehen, auf ihre Entwicklung nicht einwirken, und es ist ein glücklicher Zufall, daß sein Name bei In- nnd Ausländern berühmt wurde, eiue Berühmtheit, die uoch jetzt Besucher hcrauzieht. Und doch ist es wieder kein Zufall, daß sich die damalige Literatur gerade einen solchen Wohnort, dessen Charakter ein höfisch-idyllischer ist, aussuchte. Diese Literatur war eiue rein und entschieden ästhetische; sie bante eine geistige Welt auf, die weit entfernt ans dein Boden der beschränkten deutschen Wirklichkeit, der gege- denen Vvlkszustünde zu fußen und diese abzuspiegeln, die vorhandenen weltgeschichtlichen Literaturen zu ihrer Grundlage hatte. Ihre Aufgabe war ein Pantheon der Schönheit, ans den Stoffen, welche die Errungenschaft der fremde Bildungen allseitig verarbeitenden deutschen Gelehrsamkeit waren, errichtet. Wie sie von der nächsten uud heimischeu Wirklichkeit abstrahirte, so betrachtete sie auch die fremden Literaturen, die sie genießend weitergcstaltete und fortsetzte, abgesondert von deu bestimmten Vvlkszuständcn, aus deuen sie erwachsen sind; sie sah überall das allgemein Menschliche und es kam ihr auf die Darstellung desselben in schöner Form an. Eine solche Literatur bedürfte zu ihrer Entfaltung und Abruudung zunächst der Nnhe uud Abgeschiedenheit uud dauu der Umgebung eines Lebens, das ästhetisch ausgeprägt, sclbstgenügsam, im Gennß und Formelwesen aufgehcud, über dem ewig unfertigen, bewegten und arbeitenden Volksleben schwebt. Die literarische Thätigkeit konnte sich am ungestörtesten entwickeln in der Umgebung einer einfachen, weder großartigen, noch geradezu öden uud langweiligen Natur, ruhiger uud idyllischer Lebeusznstäude, uud bei einer über die gemeinen Berührungen und Sorgen hinausgehobenen, aristokratisch abgeschlossenen Existenz. Die Muse konnte das massenhafte Streben, Drängen und Treiben der Menschen nicht vertragen; sie fühlte sich wohl auf dem Boden eines genügsamen, friedlichen Kleinlebens und über sich den gleichfarbigen Olymp eines wohlwollenden Erdengottes. Je weniger ein solcher politische Wichtigkeit hatte, je mehr sein Glanz ein unschuldiger Schein, ein freundliches Spiel war, um so besser. Der Sitz der Literatur konnte also keine große Handels- uud Fabrikstadt, kein Militär- und Beamtenort, keine politisch bedeutende Residenz, es mußte ein kleiner deutscher